Dem Vergessen entrissen

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Nicht alle Künstler, die wir heute als „Große“ der Kunstgeschichte schätzen, konnten diese Wertschätzung über die Jahrhunderte halten, selbst wenn sie zu Lebzeiten berühmt waren. Zu diesen gehört der 1575 in Bologna geborene und dort im Jahr 1642 verstorbene Guido Reni. Bereits im Alter von zehn Jahren begann er mit der Lehre der bildenden Kunst, zerstritt sich mit seinem ersten Lehrer, dem flämischen Manieristen Calvaert, und setzte seine Ausbildung bei der Bologneser Malerfamilie Carracci fort. Nachdem er sich auch mit diesen Lehrern überworfen hatte, wahrscheinlich weil sie ihn wegen seines Könnens als Konkurrenz betrachteten, ging er schließlich nach Rom und arbeitete dort mit wachsendem Erfolg als freier Künstler für wohlhabende Kunden vor allem der klerikalen Oberschicht.

Himmelfahrt Mariens, 1598/99

Diese künstlerische Umgebung brachte ihm auch den Beinamen „Der Göttliche“ ein, den man zwar durchaus auf sein Können, doch hauptsächlich auf die religiösen Themen zurückführen kann. Seine Heiligen- und Märtyrerbilder sind geprägt von den sehnsuchtsvollen Blicken der Figuren zum Himmel und von dem immer wieder von oben einstrahlenden „göttlichen“ Licht, das Erleuchtung und Gnade gleichermaßen verkündet. Damit traf er den seelisch-geistigen Kern der erlösungshungrigen Kundschaft und erfreute sich einer wachsenden Beliebtheit, um nicht zu sagen: des Ruhms.

Sein späterer Biograph Malvasia überlieferte der Nachwelt nicht nur Renis Werkgeschichte, sondern auch eine erstaunlich detaillierte Charakterstudie. Demnach machte Reni seinem Beinamen „il divino“ durch divenhaftes Auftreten durchaus Ehre, war auf der anderen Seite jedoch vor allem Frauen gegenüber sehr unsicher und lebte deshalb die meiste Zeit bei seiner Mutter. Malvasia gelang es sogar, eine Abrechnungskladde Renis aus dem Nachlass zu sichern, in die der Künstler säuberlich Einnahmen und Ausgaben notiert hatte. Erstaunlicherweise überlebte dieses kleine Büchlein die Stürme der Jahrhunderte und kann deshalb noch heute als Kopie eingesehen werden.

Hippomenes und Atalante,
um 1615–18

Malvasia diagnostizierte in seiner Reni-Biographie zwei künstlerische Phasen. Die erste war durch eher dunkle Farben geprägt, die seinen Bildern eine düstere, schuldbeladene Ausstrahlung verliehen und zur Endzeit der Inquisition sicher die Befindlichkeiten geistlicher und weltlicher Kunden wiedergaben. In der zweiten Phase ließ er deutlich hellere Farben sprechen und verlieh damit der Sehnsucht nach Erlösung und vielleicht sogar nach etwas Diesseits-Glück bildlichen Ausdruck.

Renis weit reichender Ruf als „göttlicher“ Maler hielt nicht nur zu seinen Lebzeiten, sondern dauerte noch lange danach an. Ja, in der katholischen Kirche galten seine sehnsuchtsvollen Heilgenbilder soviel, dass sie wie Reliquien gehandelt wurden und sogar in trivialer Form massenhaften Einzug in Gebetsbücher hielten. Diese religiöse Trivialisierung und der sich wandelnde Zeitgeschmack führten schließlich zu einer kunsthistorischen „Ächtung“ im 19. Jahrhundert. Erst der nicht mehr religiös konnotierte Kunstsinn des 20. Jahrhunderts holte ihn langsam in die Erinnerung zurück. Nach einer Ausstellung in der Frankfurter Schirn 1988/89 ist Reni erst jetzt wieder Gegenstand einer Ausstellung, eben der im Städel, die mit über 130 Werken auch gleich die größte Reni-Ausstellung aller Zeiten ist.

Christus an der Geißelsäule,
um 1604

Die Ausstellung ist grob chronologisch organisiert, was sagen will, dass auch mal ein früheres Bild aus Kontextgründen bei einem späteren hängen mag, und an den „magischen“ Punkten der Ausstellungssälen, den einführenden Blickachsen, hängen Gemälde aus dem Bestand des Städels, etwa „Mariä Himmelfahrt“ oder „Hippomenes und Atalante“. Viele Gemälde werden begleitet von graphischen Skizzen und eigenständigen Zeichnungen zu dem jeweiligen Thema, so dass die Besucher sich einen guten Eindruck von der Entstehung eines solchen Gemäldes verschaffen können.

Beim Gang durch die Ausstellung fällt die hohe Anzahl nackter – natürlich an den entscheidenden Stellen kaschierter – Figuren auf, sowohl mythischer als auch religiöser. Dahinter stecken jedoch keine erotischen Beweggründe, was wohl bei der geistlichen Kundschaft zumindest öffentlich auch nicht angekommen wäre, sondern rein künstlerische. Mit diesen Akten zeigte der Maler seine Fähigkeit, den menschlichen Körper mit all seinen anatomischen Details realitätsgetreu abzubilden, was damals – noch – nicht unbedingt selbstverständlich war. Das Mittelalter war noch nicht sehr lange versunken, und die Aufklärung musste noch hundert Jahre warten.

Bacchus und Ariadne,
um 1614–16

Für die heutigen Besucher ist die technische Perfektion, vor allem bei der Körperabbildung, frappierend. Wenn man bedenkt, dass die das Körpergefühl der Antike wiederbelebende Renaissance noch nicht einmal hinter dem historischen Horizont versunken war, ist es erstaunlich, wie schnell und geradezu eruptiv diese künstlerische Befreiung sich am Markt durchsetzte. Eben noch flächig-ikonische Heiligenbilder mit nur symbolischem Charakter, jetzt räumlich-realistische Körper aus Muskeln, Fleisch und Blut. Und all das möglichst im Großformat, das die Körper geradezu wie lebende Personen in den Raum treten ließ.

Dem Städel ist mit dieser Ausstellung nach zwei Jahren Pandemie ein wahrer Befreiungsschlag gelungen, der sich hoffentlich in einem starken Besucherstrom niederschlagen wird. Neben dieser Hoffnung drückte Direktor Demand bei seiner Hoffnung auch seinen Dank für die engagierte Unterstützung des Städels gerade aus privaten Kreisen während der Pandemie aus.

Die Ausstellung ist bis zum 5. März 2023 geöffnet. Näheres ist über die Webseite des Städels zu erfahren.

Frank Raudszus

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