Philosophicum Lech: „Der Hass“

Print Friendly, PDF & Email

Das „Philosophicum Lech“ ist ein eher nicht-instutioneller Verbund zeitgenössischer Geisteswissenschaftler, schwerpunktmäßig Philosophen, die sich jährlich im Arlberger Skiort Lech zu einem Gedankenaustausch über ein aktuelles Thema treffen. Im September 2022 stand der „Hass“ auf dem Programm, der sich seit Jahren vor allem im Internet austobt. Der emeritierte Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann, von dem wir hier bereits das ein und andere Buch besprochen haben, hat die Vorträge seiner Kollegen in dem vorliegenden Sammelband herausgegeben.

Liessmann selbst leitet den Reigen mit einer Einordnung des Hasses in die Gefühlswelt des Menschen ein. Er grenzt ihn von den „aufwallenden“ Affekten Wut und Zorn ab, die sich üblicherweise wieder abkühlen, und betont seine tief eingebrannte Permanenz im Gefühlshaushalt der betroffenen Menschen. Der Hass richtet sich laut Liessmann nicht gegen konkrete Handlungen, sondern prinzipiell gegen Personen oder Objekte und strebt deren Vernichtung an.

Diese Einordnung findet sich mit kleinen Abweichungen auch bei den anderen Vortragenden wieder. In einem Beitrag wird dabei die Verachtung als ähnlich gelagerter Affekt dem Hass auf „Augenhöhe“ gegenübergestellt. Demnach wendet sich der Hass dem Gehassten zu, während sich die Verachtung von dem Verachteten – eben verächtlich – abwendet. Der Hass entsteht aus dem Gefühl der Minderwertigkeit einem vermeintlich Überlegenen gegenüber, während die Verachtung in der Gegenrichtung vom vermeintlich Überlegenen aus erfolgt. Die distanzierte Abwendung des Verachtenden lässt diesen zwar souveräner erscheinen, jedoch ist sie für den Autor in ihrer entwürdigenden Absicht und Wirkung dem Hass gleichzustellen.

Eine andere Autorin sieht im Hass immer auch Selbsthass, der auf andere projiziert wird. Der Hass auf die eigene Ohnmacht und gefühlte Minderwertigkeit wird dabei zwecks Eigenentlastung auf die vermeintlich Mächtige(re)n umgeleitet. Diese Autorin sieht auch in dem selbstgewählten Opferstatus eine Hass auslösende Haltung, weil sie den Gegenüber zum Täter stempelt. Aus dieser Perspektive gewinnt die Autorin eine neue Sicht auf den norwegischen Serienmöder Breivik, der angeblich mit dem selbstgewählten Opferstatus seiner – alleinerziehenden – Mutter nicht umgehen konnte und sich laut der Autorin zwangsläufig zum Hasstäter entwickeln musste. Diese Sicht ist zumindest diskussionswürdig, weil sie Breivik implizit von der Verantwortung für seine Taten entlastet und diese seiner „opfersüchtigen“ Mutter auflädt. Schuld ist damit nicht mehr eine Kategorie des Individuums, sondern eine deterministische Folge früherer Konstellationen.

In einem anderen Beitrag wird die Verwandtschaft von Ideologien und Hass diskutiert, wobei der Anspruch auf den Besitz der reinen und letztgültigen Wahrheit eine zentrale Rolle spielt. Damit lassen sich dann alle diese Wahrheit bestreitenden Menschen bzw. Gruppen als minderwertig und damit hassenswert definieren. Ideologisch begründeter Hass lässt sich dadurch rechtfertigen und fast zu einer Pflicht stilisieren, was sich an älteren und aktuellen politischen und religiösen Ideologien nachvollziehen lässt.

Ein Beitrag beschäftigt sich mit dem Hass in Jugendkulturen und sieht darin klassenkämpferische Aspekte. Die vorliegenden statistischen Daten verorten den Hass vor allem in unteren sozialen Schichten, wobei er die eigene Unterlegenheit und die Macht der „Eliten“ zum Gegenstand hat. Diese durchaus nachvollziehbare Sicht wird jedoch durch eine pauschale Abwertung der sozial höher gestellten Jugend als überheblich und verächtlich wiederum in Frage gestellt, da diese abwertenden Adjektive nicht mehr Teil der herangezogenen Daten sind. Dabei wird die fragwürdige Positionierung vieler Sozialwissenschaftler deutlich, die sich selbst für unbeteiligte intellektuelle Beobachter halten, obwohl sie als akademische arrivierte Experten mit Professorenstatus eben zu dieser angeblich arroganten Oberschicht gehören. Man sollte öfter seinen Reckwitz lesen!

Doch solche Anwandlungen von Klassenkampf halten sich in diesem Sammelband durchaus im akzeptablen Rahmen, zumal ein solches Kolloquium wie das „Philosophicum“ ja alle intellektuellen Strömungen abbilden will und soll. Generell bemühen sich alle Vortragenden um eine konstruktive Kritik bzw. Analyse des Phänomens „Hass“ und entdecken dabei immer wieder neue Sichtweisen und Aspekte, ohne einander prinzipiell zu widersprechen. Allen gemein ist die grundsätzliche Ablehnung des Hasses als ein eindeutig negativer menschliche Affekt, der in seiner Grausamkeit und seinem Vernichtungswillen keine Rechtfertigung erwarten darf. Höchstens die Ursprünge und die Beweggründe werden im Einzelnen unterschiedlich gesehen.

Besonders hervorzuheben ist allerdings der Vortrag von Prof. Dr. Somek, der allen engagierten Stellungnahmen gegen den Hass ein „cave“ entgegenhält. Als Jurist diskutiert Somek die geforderten Verbote von Hassrede aller Art und stellt die Anforderungen des Rechtswesens den Tatsachen des (Internet-)Hasses entgegen. Seine gestochen scharfe Argumentation legt das Problem offen, dass konkrete Hassreden selten juristisch eindeutige Tatbestände erfüllen, da viele dieser Reden voller Metaphern, Assoziationen und Analogien sind, deren Inhalt zwar allgemein zu Recht als personalisierte Hassrede interpretiert wird, aber juristisch dennoch nicht greifbar ist. Die moralische Betroffenheit der Gemeinten kann für einen Juristen kein ernsthaftes Argument sein. Damit blättert Somek auch das alte Dilemma der Jurisprudenz zwischen faktenorientierter Rechtsprechung und (gefühlter) Moral auf stellt klar, dass die Moral kein Maßstab für eine seriöse Rechtsprechung sein kann. Das mag zwar für viele sich auf Moral Berufende inakzeptabel sein, aber jede andere Regelung würde letztlich der Willkür Tür und Tor öffnen.

Wenn wir uns hier auf wenige Aspekte der verschiedenen Beiträge beschränkt haben, dann deshalb, weil hier nicht der Platz für die detaillierte Diskussion der inhaltsreichen und scharfsinnigen Vorträge ist. Interessierten wird dringend die Lektüre dieses Buches empfohlen.

Es ist im Zsolnay-Verlag erschienen, umfasst 253 Seiten und kostet 26 Euro.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar