Joseph Conrad: „Lord Jim“

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Joseph Conrad ist einer der herausragendsten Romanciers des ausgehenden 19. und beginnenden 20.Jahrhunderts, und aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Kapitän von Handelsschiffen handeln seine Werke im weitesten Sinne von der Seefahrt. Seine Sprache gilt als besonders einfühlsam und eindringlich.

In dem Roman „Lord Jim“ verarbeitet er einen realen Vorfall, bei dem die Offiziere eines Pilgerdampfers in Seenot das Schiff verließen und die nahezu tausend Pilger ihrem Schicksal überließen. Das führerlose Schiff wurde jedoch rechtzeitig entdeckt und in den nächsten Hafen eingeschleppt.

In Conrads Roman „Lord Jim“ will der erste Offizier mit dem Vornamen Jim das havarierte Pilgerschiff nicht verlassen, doch die anderen Offiziere üben einen solchen Druck auf ihn aus, dass er ins Rettungsboot springt, allerdings auf Kosten eines schlechten Gewissens, das ihn nie wieder verlassen wird. Nachdem er sich als einziger gestellt und im Prozess seine Patente verloren hat, schlägt er sich als Hafen- und Schiffahrtsberater in den Häfen des nahen und mittleren Ostens durchs Leben, immer darum besorgt, dass niemand von seiner Vergangenheit erfährt. Schließlich erbarmt sich ein alter Freund des Ruhelosen und bringt ihn zu einem einsamen Stamm mitten in der indonesischen Inselwelt, wo keine Kunde vom Alltag der Seefahrt hingelangt. Dort rettet er mit seinen Kenntnissen und viel Mut das kleine Volk vor einer drohenden Gefahr, findet eine Frau und darf hoffen, ein normales Leben zu führen. Doch sein schlechtes Gewissen lässt ihm dennoch keine Ruhe, und er ahnt, dass es nicht gut ausgehen wird.

Als ein krimineller Kapitän mit seinem Schiff zu dem kleinen Stamm vordringt, um dort – notfalls gewaltsam – Proviant zu besorgen, überredet der zum Pazifisten gewordene Jim den Häuptling dazu, den eingekesselten Piraten freien Abzug zu gestatten. Doch diese vergelten ihm seine Großzügigkeit mit Hilfe eines rachsüchtigen alten Mannes aus der Dorfgemeinschaft schlecht, und es kommt zu einem tragischen Ende.

Diese uralte Geschichte um Schuld und Sühne hat liegt jetzt als Hörspiel vor. Offensichtlich traut Regisseur Martin Heindel Conrads Sprachkraft nicht genug zu, um es bei einer normalen Lesung des Romans zu belassen. Stattdessen mischt er die Lesung mit verschiedenen Hörspielelementen auf. Die doppelte Erzählstruktur mit einem Erzähler, der wiederum Briefe eines alten Freundes und Vertrauten von Jim vorträgt, setzt Heindel in dem Sinn direkt um, dass er die Texte sowohl vom Sprecher als auch simultan, nur um Sekunden versetzt, von der Figur im Hörspiel vortragen lässt. Das führt natürlich zu einer reduzierten Verständlichkeit, die meistens die entscheidenden Worte verschwinden lässt. Doch nicht genug damit, reichert Heindel das Geschehen auch mit vielen akustischen Elementen an, die an die Grenzen des Kitsches oder gar darüber hinaus gehen. Da rauscht die Brandung, die Grillen zirpen, Männer fluchen im Hintergrund, Taue knarren und Wagen rollen. Zu allem Überfluss wird diese vermeintlich authentische Geräuschkulisse auch noch mit permanenter, elegisch anmutender Filmmusik angereichert, die mit ihrem pseudo-romantischen Klang wohl das geheimnisvolle Asien akustisch nahebringen soll.

Darüber hinaus ist die Rolle des Jim (Sebastian Urzendowsky) fehlbesetzt. Jim verlässt die scheinbar sinkende Pilgerschiff als Erster Offizier. Eine solche Position erforderte auch damals ein Lebensalter von mindestens dreißig Jahren. Addiert man dazu die Jahre der unsteten Wanderschaft durch die asiatischen Häfen, gelangt man zu einem Alter von knapp vierzig Jahren für den Jim der späteren Romanhandlung. Urzendowsky erfüllt diese Altersvorgabe zwar, doch seine Stimme ist die eines Achtzehnjährigen, die eher den Eindruck eines spätpubertären Jünglings vermittelt. Aus dessen Mund klingen die Lebensweisheiten eines schwer geprüften Mannes nie glaubwürdig, sondern eher gestelzt und wie von einem Schauspielanfänger deklamiert. Hier wäre die gesättigte Stimme eines Mannes mit Lebenserfahrung wesentlich passender gewesen. Die anderen Sprecher passen dagegen wesentlich besser zu ihren jeweiligen Rollen.

All diese Regiezutaten machen die bereits durch die doppelte Erzählebene gebrochene Geschichte noch schwerer verständlich, so dass viele Szenen einfach an den Zuhörern vorbeilaufen. Man hätte mehr auf Joseph Conrads genuine Sprachmacht vertrauen sollen und sparsamer mit den Zusatzeffekten umgehen sollen, frei nach dem alten Motto „weniger ist mehr“.

Das Hörbuch ist im Hörverlag erschienen, umfasst 4 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von etwa viereinhalb Stunden und kostet 24 Euro.

Frank Raudszus

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