Blake Bailey: „Philip Roth: Biografie“

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Roth habe ein „reiches Liebesleben“ gehabt, sei aber so redlich gewesen, dass er „zwei katastrophal ungeeignete Frauen heiratete“, urteilt der von Roth 2012 autorisierte Biograf in seinem sehr ausführlichen Prolog.

Diese Zitate aus Blake Baileys Philip-Roth-Biografie kennzeichnen den Ansatz des Biografen: Ein zentrales Thema ist Roths Liebesleben und sein Verhältnis zu (Ehe-)Frauen, insbesondere sein Verständnis von Ehebruch. Darüber hinaus geht es auch immer wieder um die Auseinandersetzung mit der jüdischen Community, mit deren Wertekanon er aufgewachsen ist. Das geschieht nicht unkritisch, Bailey ist aber auch geneigt, Roth positiver zu zeigen, als er von vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen gesehen wird.

Blake Baileys Biografie erschien in den USA erstmals im April 2021 bei der W.W. Norton & Company, die den Druck und die Auslieferung jedoch bereits nach einer Woche erst unterbrach, dann definitiv stoppte, als eine Kanzlei die Verletzung von Persönlichkeitsrechten gegen den Verlag geltend machte und darüber hinaus der Biograf in den sozialen Medien sexueller Übergriffe gegenüber Frauen in seinem Blog beschuldigt wurde. Nun ist der Roman auf Deutsch bei Hanser erschienen. Die Übersetzungsrechte hat Hanser bereits 2014 erworben.

Das Leben und die Werke des erfolgreichen und umstrittenen amerikanischen Schriftstellers Philip Roth (1933-2018) werden in der Biografie von Blake Bailey auf mehr als 1000 Seiten äußerst breit dargelegt. Roth war ein außerordentlich fleißiger Schriftsteller, der insgesamt 31 Werke geschaffen hat. Die Biografie ist in fünf Lebensabschnitte und insgesamt 50 Kapitel gegliedert.

Der Biograf charakterisiert Roth als einen autobiografischen Schriftsteller. Er belegt dies bereits im Prolog und bei der Besprechung einzelner Werke anhand der Übereinstimmung zwischen Verwandten, Zeitgenossen, Freundinnen und Ehefrauen in Roths Leben einerseits und den fiktionalisierten Figuren (z.B. seinem alter ego Zuckerman) in seinen Werken andererseits. Philip Roth selbst hat sich gegen diese Einschätzung verwahrt. Seine Figuren seien zwar auf der Basis eigener Lebenserfahrung entstanden, entsprächen jedoch nicht lebenden Personen. Er selbst sei eine hoch komplexe Persönlichkeit, die nicht in einer literarischen Figur erfasst werden könne.

Bailey gibt recht ausführliche Beschreibungen der Inhalte und Rezeption von Roths einzelnen Werken. Die Roth-Leserin fragt sich jedoch, ob das in dieser Breite notwendig ist, denn sie hat doch zu der Biografie gegriffen, weil sie schon viel von Roth gelesen hat und nun mehr über den Menschen Roth und den Hintergrund seines Schaffens erfahren möchte.

Bailey markiert den Beginn von Roths Karriere als Schriftsteller mit dem Erscheinen des Romans „Goodbye Columbus“ im Jahr 1959. Der Roman schildert das Leben der jüdischen Mittelschicht im Stadtteil Weequahic von Newark. Die jugendliche Hauptfigur lehnt sich auf gegen die strengen Konventionen der jüdischen Gemeinschaft. Für diesen Roman erhält Roth den National Book Award.

Den Roman „Anderer Leute Sorgen“ liest Bailey als Roths Verarbeitung seiner gescheiterten ersten Ehe (1959-1964) mit einer geschiedenen Mutter von zwei Kindern. Für diesen Roman erhält Roth 1960 den Preis für den besten Roman des National Book Award.

Auch seine zweite Ehe mit der Schauspielerin Claire Bloom (1990 – 1995), mit der er seit 1975 zusammenlebt, scheitert, denn er kann das Zusammenleben mit ihrer heranwachsenden Tochter aus erster Ehe nicht vereinbaren mit seinem Bedürfnis nach Ruhe für seine tägliche schriftstellerische Arbeit. Für Claire wird sein anhaltendes Fremdgehen mit anderen Frauen unerträglich. Roth hingegen rechtfertigt sein Verhalten damit, dass er als Mann seine Freiheit brauche und auch nie geheiratet hätte, wenn die Frauen es nicht gefordert hätten. Ohnehin mache Ehebruch „viele schlechten Ehen erträglicher und hält sie zusammen.“ Und noch zugespitzter äußert er in einem Interview, Ehebruch stehe im Widerspruch zu den frommen Wünschen, wie die Welt sein sollte. Die Menschen seien nun aber so, wie sie sind. Damit rechtfertigt er den Ehebruch auf allgemeiner Ebene.

Im Mittelpunkt des 1969 erschienenen Romans „Portnoys Beschwerden“ steht der Konflikt eines Jugendlichen zwischen seinen sexuellen Neigungen zur Selbstbefriedigung und den moralischen Zielen der Community. Dieser Bestseller zählt laut der Modern-Library Liste zu den besten englischsprachigen Romanen des 20. Jahrhunderts. Die ungeschminkte, teilweise obszöne Beschreibung eines masturbierenden Jugendlichen und der Untreue eines jüdischen Erwachsenen ruft insbesondere die Empörung von jüdischen Lesern, bekannten Kritikern und Rabbinern hervor, die Roth Antisemitismus vorwerfen. Roth wehrte sich bereits 1962 gegen diesen Vorwurf mit Vorträgen auf Einladung an amerikanischen bzw. an zwei israelischen Universitäten wie  in  seiner Rede „Writing About Jews“, die er in der Zeitschrift „Commentary“ veröffentlichte.

In den folgenden Jahren erscheinen seine Romane „Lucy Nelson oder Die Moral“, „Amerikanisches Idyll“, „Mein Mann, der Kommunist“ und „Der menschliche Makel“, in denen er sich als non-konformistischer Autor der zeitgenössischen amerikanischen Gesellschaft auszeichnet. 2002 erhält er die „Gold Medal in Fiction“ des American Book Award für seine amerikanische Trilogie.

Der Roman „Nemesis“ über den aussichtslosen Kampf eines selbstlosen Junglehrers gegen die epidemische Ausbreitung der Kinderlähmung in Newark krönt 2010 Roths Schriftstellerkarriere.

Die letzte Lebensphase von Philip Roth ist geprägt von Krankheit, abnehmender Potenz und Todesangst. Seine späten Romane „Jedermann“, „Das sterbende Tier“ und „Die Demütigung“ thematisieren die schwierigen Liebesbeziehungen im Alter, insbesondere wenn sich die Machtverhältnisse umkehren wie in „Demütigung“. In diesem Roman lässt sich der schwächelnde Mann von der viel jüngeren Partnerin demütigen und finanziell ausbeuten, um sie überhaupt halten zu können.

Bailey zeichnet ein schillerndes Bild des Menschen Philip Roth. Sowohl in der Realität als auch in den Protagonisten seiner Romane erkennt man den Womanizer, der Frauen für die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse benutzt und sie fallen lässt, wenn sie nicht mehr attraktiv für ihn sind. Er erscheint als ein Mann, der zu einer wahrhaftigen Liebesbeziehung nicht fähig ist. Andererseits ist er der großzügige Freund, der sich fürsorglich einsetzt, wenn ein Freund der Hilfe bedarf. Insgesamt zeichnet Bailey Roth als einen Egomanen, der seine eigenen Bedürfnisse und besonders sein Schreiben über die Bedürfnisse seiner häufig wechselnden Partnerinnen stellt. Bis zum Schluss hat Roth selbst seinen Umgang mit Frauen gerechtfertigt.

Baileys Biografie gibt sehr detailliert Auskunft über Roths Beziehungen zu anderen Menschen sowie über die Lebensumstände dieser Menschen.

Leider wird die Geduld der interessierten Leserinnen und Leser durch Baileys oft ausschweifenden Ausführungen über Philip Roths nähere Verwandte, Ehefrauen, Freunde/-innen und Kritiker seiner Werke arg strapaziert. Man hätte sich stattdessen einen klarer strukturierten analytischen Ansatz gewünscht, der Autor und Werk mit kritischer Distanz darstellt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Biograf bemüht ist zu zeigen, was er alles weiß, ohne dabei zu beachten, ob das alles für die Leser wesentlich ist.

Wer sich dennoch an die Lektüre machen will, braucht einen sehr langen Atem.

Das Buch ist 2023 im Hanser Verlag in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren und Thomas Gaukel erschienen. Das Buch hat 1088 Seiten und kostet 58 Euro.

Elke Trost

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