Carlo Rovelli: „Weiße Löcher“

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„Schwarze Löcher“ sind ein – wissenschaftshistorisch – noch gar nicht so altes Phänomen. Sterne ab einer gewissen Größe setzen in ihrem Kern Fusionsprozesse in Gang, deren erster in der Umwandlung von Wasserstoff in Helium besteht. Kleinere Sterne wie unserer Sonne enden nach Umwandlung sämtlichen Wasserstoffs als „Roter Zwerg“, bei größeren setzt sich die Fusionskaskade fort zu höheren Elementen bis hin zu Eisen und ähnlichen Elementen. Am Ende bleiben meist Neutronensterne stehen, bei denen alle Elemente in eine Kugel ursprünglicher und aus Protonen und Elektronen „zusammengepresster“ Neutronen verwandelt werden. Bei weiterem Zufluss von Materie steigt die Gravitation dieses Neutronensterns so weit an, dass selbst Lichtstrahlen – in Gestalt von Photonen – aufgesogen oder abgelenkt werden. Da dieser „Stern“ kein Licht mehr reflektiert, kann man ihn auch nicht sehen, er existiert für unsere Sinnesorgane und optischen Messgeräte nicht mehr, er mutiert zum „Schwarzen Loch“. Neuere Fotos von Schwarzen Löchern sind zwar kein „Fake“, aber sie zeigen nur die durch die ungeheure Gravitation aufgeheizte Materie im Umfeld des Schwarzen Loches.

Soweit, so schlecht – denn man kann über dieses Phänomen nicht aus der Anschauung sprechen, sondern nur aus der mathematischen Sicht. Dabei fragen sich die Forscher natürlich, was geschieht, wenn die Masse und damit der Druck auf den Kern des Loches weiter zunimmt. Irgendwann werden die Neutronen, und damit die „Quarks“ in ihrem Inneren weiter zusammengepresst. Dabei stellt sich die Frage, ob auch diese letzten Elementarteilchen komprimierbar sind oder nicht und wie es mit einem stets schwerer werdenden Schwarzen Loch weitergeht.

Rovelli geht dieser Frage anhand der mathematischen Idee eines Kollegen auf den Grund und entwickelt die Idee eines „Weißen Loches“. Dieses stellt die Umkehrung des Schwarzen Loches dar und entlässt die Massen wieder aus dem „Ereignis-Horizont“, der spiegelverkehrt zu dem des Schwarzen Loches angeordnet ist. Diese Anordnung muss man sich jedoch nicht räumlich vorstellen, sondern rein mathematisch. Laut der dahinter stehenden mathematischen Theorie entfällt die von Einsteins Relativitätstheorie prognostizierte Singularität an der tiefsten Stelle des Schwarzen Loches, da es eine echte „Null-Ausdehnung“ aufgrund der Quantenstruktur nicht gibt. Anstelle dessen erfolgt an der Stelle dieser „Beinahe-Singularität“ eine Zeitumkehr, die alle Prozesse rückwärts laufen lässt. Wie das in der Praxis – und im sichtbaren Universum – ablaufen soll, kann niemand sagen, aber die Mathematik legt diese Entwicklung nahe. Rovelli verdeutlicht dabei ungeschminkt die Unvorstellbarkeit dieser Prozesse und setzt Analogien aus dem uns bekannten dreidimensionalen Raum nur sehr verhalten ein, da er weiß, wie schnell der an die Vorstellung gebundene menschliche Geist solche Analogien wörtlich nimmt.

Wohl wissend, dass er sich hier auf hochgradig spekulativem Gebiet bewegt, wenn auch mathematisch untermauert, fügt er seinem Buch eine poetische Note hinzu, indem er zwischendurch typographisch abgesetzte Passagen mit seinen eigenen Reflexionen einschiebt, die sich wiederum mit seiner eigenen Art des Denkens beschäftigen. Dabei vergleicht er immer wieder Dantes Göttliche Komödie und deren Reisen durch die verschiedenen Grade der Hölle mit seiner imaginären Reise durch ein Schwarzes Loch. Nur die Hoffnung und der Glaube an die abschließende Erlösung muss er als skeptischer Wissenschaftler dahinfahren lassen und sich mit seinen Zweifeln an der „Wahrheit“ zufrieden geben.

Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, umfasst 159 Seiten und kostet 24 Euro.

Frank Raudszus

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