Die erstaunliche Klangbreite eines Instruments

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Das Saxophonquartett „sonic.art“ ist in Darmstadt kein unbekanntes Ensemble, denn bereits vor zwei Jahren trat es im großen Haus mit einer breiten Palette aus der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts auf. Das wiederholte das Ensemble jetzt in ähnlicher Form beim 3. Kammerkonzert, aber diesmal in der Darmstädter Stadtkirche. Auf dem Programm standen Werke von Dmitri Schostakowitsch, Hanns Eisler, Astor Piazolla und Modest Mussorgski. Die Schwerpunktbildung bei russischer Musikliteratur mag als kleine Ehrenrettung und – ja! – als stiller Protest gegen die bisweilen spürbare „Sippenhaftung“ der russischen Kultur für die Untaten des heutigen Potentaten zu verstehen sein.

v.l.n.r.: Annegret Tully, Adrian Tully, Alexander Doroshkevich und Taewook Ahn

Schostakowitschs „Jazz Suite Nr. 1“ ist in Gestalt ihres eingängigen und oft gespielten Walzers durchaus bekannt, wenn sie auch als durchkomponiertes Stück mit dem immanent improvisierenden Jazz nicht viel zu tun hat. In der Saxophon-Version war der Walzer etwas langsamer als in der orchestralen Ausführung, die Polka kam als gehobene Unterhaltungsmusik der zwanziger Jahre daher, und der längere Foxtrott diente hier wegen des geringen Tempos offensichtlich ebenfalls nicht als Tanzmusik. Dafür war hier die Variationsbreite mit seinen ostinaten Passagen und den Anklängen an Kurt Weills Musik am größten. Erstaunlich, wie das Ensemble immer wieder Klangeffekte anderer Instrumente erzeugte, die das Quartett vier gleichartiger Instrumente zeitweise zu einem heterogenen Kleinorchester mutieren ließen.

Hans Eislers Suite von 1930/32 ist typisch für den revolutionären und bewusst „volksnah“ klingenden Musikstil dieser Zeit, wie wir ihn auch von Kurt Weill kennen. Scheinbar einfache, volkstümliche Themen in transparenter musikalischer Form prägen den einleitenden „Marsch“, während das „Largo“ mit Reizklängen und modernden Harmonien aufwartet. Das „Grave“ erinnert ein wenig an Barockmusik, das „Pesante“ kommt leichtfüßiger daher, und das „Allegro“ zeichnet sich gemäß seiner Bezeichnung durch Lebhaftigkeit aus. Diese drei zusammengehörigen Sätze kann man als das Zentrum der Suite deuten, während die abschließenden „Fabriken“ musikalisch den Lärm und den Zeitdruck der neuen Industriewelt widerspiegeln.

Die „Diablo“-Suite des Argentiniers Astor Piazolla brachte ein neues, südamerikanisches Flair in das Konzert, wartet jedoch mit dissonanten Harmonien und harten Rhythmen auf. Der „Tango“ ist als Tanzmusik kaum noch zu erkennen und lebt vor allem von seiner freien und ausgesprochen dynamischen Metrik. Die „Romance“ wirkt dagegen liedhafter und bringt vor allem den melancholischen Unterton zum Ausdruck. Dabei wirkt das Sopran-Saxophon streckenweise wie eine Flöte. Das abschließende „Vayamos al Diablo“ (Gehen wir zum Teufel) besteht vor allem aus wilden Rhythmen und einer durchgehend starken Dynamik. Auch diese Suite servierte das Ensemble mit einer erstaunlichen Klangvielfalt, bei der immer wieder das für die argentinische Musik typische Bandoneon in der Saxophon-Intonation durchschimmerte.

Nach der Pause erklang dann Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“, das sowohl in seiner anfänglichen Klavierversion als auch als Orchesterstück ein wichtiger Bestandteil des Musikrepertoires ist. Hier konnte das Sonic.art-Ensemble noch einmal alle Klangfarben und -varianten ihrer Instrumente durchspielen, bietet das Stück doch mit seinen programmatischen Teilen wie dem tanzenden „Gnom“, dem so düsteren wie verwunschenen „alten Schloss“, den in den „Tuilerien“ spielenden Kindern, dem langsam dahertrottenden „Ochenkarren“, den in den Eierschalen tanzenden „Küken“, den beiden in verschiedenen Tonlagen diskutierenden Juden, dem lebhaften „Markt von Limoges“, den dunklen, todesnahen „Katakomben“, der grotesken Hütte der Baba-Yaga und schließlich dem abschließenden „Großen Tor von Kiew“ eine breite Vielfalt unterschiedlichster Klangfarben und Ausdrucksformen. Das Quartett schaffte es, den orchestralen Eindruck, den die meisten Besucher wohl noch im Kopf hatten, erfolgreich nachzuahmen. Jedenfalls entstand keinen Augenblick lang der Eindruck, hier eine „verdünnte“ Interpretation des bekannten Werks zu hören. Eine wahrhaft eindrucksvolle technische wie musikalische Leistung dieses Saxophon-Quartetts.

Der kräftige Schlussapplaus des Publikums motivierte das Ensemble dann noch zu einer Zugabe aus einem Streichquartett. Hervorzuheben ist auch, dass jedes musikalische Werk vor der Interpretation von einem anderen Ensemble-Mitglied vorgestellt und skizziert wurde. Eine Dienstleistung, die man sich von Interpreten öfter wünschen würde.

Frank Raudszus

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