„Simply Great“!

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Im 4. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt präsentierte sich mit dem multinationalen „Simply Quartet“ zwar ein junges Ensemble, doch das technische wie das interpretatorische Können konnte sich mit jedem langjährig etablierten Quartett mehr als messen. Der Chinese Danfeng Shen (v) und sein Landsmann Xiang Lyu (va), die Österreicherin Antonia Rankenberger(v) sowie der Norweger Ivan Valentin Hollup Roald (vc) präsentierten sich als perfekt eingespieltes Quartett mit viel Verve und einem sicheren Gespür für eine stimmige Interpretation.

Das „Simply Quartet“ (Quelle: website)

Es begann mit Anton Weberns „Langsamer Satz für Streichquartett“ aus dem Jahr 1903, in dem der spätere Zwölftöner noch den Spuren der Spätromantik folgte. Schon die ersten Takte verströmen das unverwechselbare Flair der Spätromantik des „Fin de Siècle“. Weder Melancholie noch Schwermut treffen den Ausdruck dieser Musik, doch etwas Endzeitliches, Abschied Nehmendes prägt die Musik und vor allem dieses Exemplar. Eine hoch verdichtete Emphase geht einher mit hoher Verinnerlichung, und das Ganze erfolgt mit einer gezielten Reduktion der musikalischen Mittel, als wolle der Komponist dem Hörer sagen, dass es keines tonalen Aufwands bedürfe, um die gemeinsame Stimmungslage zum Ausdruck zu bringen. Man kann sich diese Musik gut als Begleitung zu einem Film über Ende der KuK-Monarchie vorstellen. Die vier jungen Musiker erweckten mit ihrer Interpretation diese Zeit glaubwürdig zum Leben, ohne sie selbst erlebt zu haben, allein aus dem vorliegenden Notenmaterial.

Mit einem Sprung von dreißig Jahren ging es dann zu Béla Bartóks vierten Streichquartett in C-Dur aus dem Jahr 1928. Bartók bezog sich in seinen späteren Werken nicht nur auf ungarische und slawische Volksmusik, sondern dabei auch auf andere Tonsysteme wie das Ganztonsystem. Das wirkt für durch die Diatonik geprägten europäischen Ohren erst einmal ungewohnt und sogar dissonant, doch im Laufe eines entsprechenden Vortrags gewinnt man doch Zugang zu dieser Musik.

Der erste der fünf Sätze vermittelt einen wegen der fehlenden Dominant-Spannung schwebenden Eindruck, enthält jedoch durchaus liedhafte Momente. Im zweiten Satz jagen kürzeste Motive in atemberaubendem, flirrendem Tempo durch die Instrumente, unterbrochen durch kräftige Unisono-Tutti und einige Pizzicato-Passagen. Der dritte Satz bildet den – von den anderen vier Sätzen eingerahmten – „Kern“ des Quartetts und besteht aus langsamen, betont zurückgenommenen Sphärenklängen und einem ausgedehnten Cello-Solo, dem wiederum ein ausgeformtes Thema in der ersten Violine folgt. Dieser Satz stellt in der Tat das „Auge“ im Sturm der um ihn rotierenden anderen Sätze dar. Der vierte Satz ist in gewisser Weise eine Variation des zweiten, besteht jedoch nahezu vollständig aus Pizzicati aller technischen Arten, und erinnert ein wenig an ein Gitarrenkonzert. Der fünfte und letzte Satz schließlich beginnt mit forcierten Dissonanzen und einer versetzt ostinaten Rhythmik. Liedhafte, wenn auch schnell gespielte Motive, eine sich stetig steigernde Dynamik und ausgeprägte Kontraste prägen den weiteren Verlauf dieses Satz bis zum Schlussakkord.

Auffallend waren einerseits die technische Perfektion des Ensembles – vor allem bei den Pizzicati – und andererseits die hohe und keinen Augenblick nachlassende Intensität der Interpretation. Die vier Musiker formten jeden Satz auf individuelle und dabei transparente Weise und vermittelten damit dem Publikum eine eindringliche, praktische Lehrstunde über die Musik des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

Nach der Pause gab es dann mit Antonin Dvoraks „amerikanischem“ Streichquartett Nr. 12 ein „Zuckerl“ für das von Bartóks Tonalität geforderte Publikum. In diesem Stück schlägt sich Dvoraks Erfahrung mit dem – vielleicht etwas naiven – Optimismus der noch jungen USA nieder. Im Gegensatz zu dem ermüdeten Europa dachten die Amerikaner vorwärts und nahmen Begriffe wie „Fortschritt“ noch beim Namen. Doch Dvorak ließ in diesem Stück natürlich auch seine böhmische Herkunft durchschimmern, und deren heitere bis leicht melancholische Liedhaftigkeit geht eine gelungene Partnerschaft mit dem weltoffenen Denken des neuen Kontinents ein. Der erste Satz spiegelt die „Weite Amerikas“ in langgezogenen Melodiebögen nach, doch das Ensemble verlieh diesem Satz mit hingebungsvollem Spiel markante Konturen, so dass nie der Eindruck von Gefälligkeit entstand. Der zweite Satz wirkte streckenweise fast barock, vor allem in der Bratsche, brachte das pralle Leben zum Ausdruck und war – obwohl 1893 entstanden – alles andere als „Fin de Siècle“. Der dritte Satz wirkt mit seiner wechselnden Dynamik und Rhythmik musikalisch geradezu „hinterlistig“ und brachte – wie ein Scherzo – aufbrausendes Leben in die Interpretation. Der Finalsatz führte diese Gangart konsequent weiter: nach einem zupackenden Beginn folgten noch einmal liedhaft eingängige Themen, die dem Stück zwar keinen ausgesprochen ruhigen, doch moderat und melodisch ausklingenden Abschluss gönnten. Wie in vielen Musikstücken sind am Ende alle Konflikte – sprich: musikalische Kontraste – beigelegt, und eine positive Grundstimmung verschönt das Ende.

Das Publikum zeigte sich von diesem so engagierten wie hochklassigen Konzert begeistert und erklatschte sich noch eine Zugabe in Gestalt des Finalsatzes eines Haydn-Quartetts.

Frank Raudszus

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