Michael Kleeberg: „Dämmerung“

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Charlie Renn, fast noch in den besten Jahren, feiert seinen sechzigsten Geburtstag. In der langen Zeit bis zu diesem Datum hat er ein intensives Leben gelebt. Seine Mutter ist bei der runden Geburtstagsfeier nicht dabei, da bereits verstorben. Auch seine von ihm geschiedene erste Ehefrau Heike und seine Tochter Luisa sitzen nicht mit an der Tafel, da er sie nicht eingeladen hat. Der Sohn war zwar eingeladen, lässt sich aber entschuldigen. Charlies Vater dagegen nimmt zwar teil, sitzt aber im Rollstuhl und leidet unter Demenz.

Wer sind nun die geladenen achtzig Gäste? Neben Charlie sitzt Madleen, die erst seit einem halben Jahr seine Partnerin ist. Dazu gesellen sich einige Golffreunde, Familienangehörige, Freunde aus der Schulzeit und dem Studium sowie „Sonstige“, wie es so schön im Text heißt.

Michael Kleeberg nimmt sich in „Dämmerung“ des dritten Lebensabschnitts seines Protagonisten an. Es ist der dritte Roman einer Trilogie, die sich um Karlmann Renn dreht, 2007 mit „Karlmann“ begann und 2014 mit „Vaterjahre“ seine Fortsetzung fand. Kleeberg wendet einen literarischen Trick an, indem er ein „alter ego“ von Charlie hinzuzieht, das aus äußerer Perspektive und durchaus wohlwollend die Lebensgeschichte des Protagonisten erzählt. Dabei geht der Erzähler immer wieder auf Abstand zur Hauptfigur, kommentiert, ironisiert und bewertet sie. Das sind oft besonders gelungene Passagen, bringen sie doch das Erlebte oder auch die gesellschaftliche und politische Realität, in der sich Charlie bewegt, ohne Schönfärberei auf den Punkt.

Vier Jahre lang begleiten wir Karlmann Renn lesend durch sein Leben. Eine Zeit, in der die Corona-Krise den Alltag bestimmt hat. Schließlich wirbelt Putins Feldzug gegen die Ukraine ganz Europa durcheinander. Es war doch alles so schön eingerichtet. Für das Alter haben viele Menschen ein Polster geschaffen. An Krieg, vor allem in Europa, hat niemand gedacht.

Charlie ist noch der Typ Mann, der sowohl im Berufsleben als auch privat gerne regiert. Dem weiblichen Geschlecht ist er nicht abgeneigt, aber wenn es nicht nach seinem Vorstellungen geht, werden die Frauen flugs abserviert. So kann er nach seiner gescheiterten Ehe bereits auf fünf Beziehungen zurückblicken. Und er gönnt sich etwas: edle Uhren, teuer Essen gehen, ausgezeichnete Weine, Golf spielen und in bester Lage wohnen. Er ist eitel und lässt sich beim Schönheitschirurgen aufhübschen und verjüngen. Nach beruflichen Erfolgen, bei denen sich sein Pragmatismus bewährt hat, wird er schließlich von der jungen Generation aus dem Job geschoben. In einer nachfolgenden Beschäftigung als Geschäftsführer einer kulturellen Einrichtung wird ihm sein selbstherrlicher Führungsstil bei seinen empfindlichen Mitarbeiterinnen zum Verhängnis.

Charlie scheint am Ende scheint am Ende aus dem Jahrhundert gefallen zu sein. Die Zeiten haben sich geändert, aber er hat sich kaum mitbewegt. Ob er die „MeToo“-Debatte nicht reflektiert hat oder die Machtverschiebungen in den Betrieben nicht wahrhaben will – er passt nicht mehr in das heute gefragte Muster.

Kleebergs Roman „Dämmerung“ liest sich anregend und unterhaltsam und rechnet mit einer überholten Epoche ab. Das Buch ist im Penguin-Verlag erschienen, umfasst 477 Seiten und kostet 26 Euro.

Barbara Raudszus

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