Uwe Steinmetz: „Jazz und Spiritualität“

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In dem dieses Buch eröffnenden „Motto“ zitiert der Autor den Jazz-Saxophonisten Dave Liebman mit den Worten “ …the closeness .. with your music and your instrument is … a feeling that you can´t put into words“. Gerade das aber versucht Uwe Steinmetz in diesem Buch und geht damit bewusst das Risiko einer Verständigungslücke zwischen ihm und seinen Lesern ein. Und bei aller „Wortlosigkeit“ schafft er es dennoch, sein Anliegen glaubwürdig zu vertreten.

Steinmetz hat seine Ausführungen unter ein Motto von drei Begriffen gestellt: „Fire“, „Truth“ und „Prayer“ (Feuer, Wahrheit, Gebet). Mit „Fire“ meint er die Ekstase nicht nur der frühen Jazz-Musiker, mit „Truth“ eine nicht näher definierte innere Wahrhaftigkeit und Schönheit und mit „Prayer“ das explizite Verhältnis vieler Musiker zu den Religionen.

Mit „Fire“ hat Steinmetz es noch am einfachsten, steht ihm dort doch die Geschichte der noch aus der Sklavenzeit stammenden Spirituals und Gospels zur Verfügung. Die sich selbst aufheizende Ekstase und die freie Improvisation einzelner Sänger und der Gemeinde sind die idealen Beispiele für die Anfänge des Jazz und lassen sich an vielen noch existierenden Tonaufnahmen aus dem frühen 20. Jahrhundert belegen. Dazu hat Steinmetz eine Reihe von QR-Codes mit entsprechenden Aufnahmen in sein Buch integriert, die man als Leser leicht abrufen und anhören kann.

Mit „Truth“ wird es dann schon schwieriger. Begriffe wie „Wahrheit“ und „Schönheit“ haben – vor allem seit der Aufklärung – viele Philosophen vor das Problem gestellt, diese nur scheinbar selbsterklärenden Worte als logische Begrifflichkeiten zu definieren und gegeneinander abzugrenzen. Vor der Aufklärung wurden sie als nicht mehr hinterfragbare Dogmen – meist der jeweiligen Religion – gerade nicht hinterfragt. Unter dem Schleier der Spiritualität gesteht auch Steinmetz ihnen einen immanenten Eigenwert zu, den man nicht mehr zu erklären oder gar zu hinterfragen braucht. Wenn ein Musiker von der „Wahrheit“ seines Spiels spricht, ist das halt so und wird als ein Wert an sich betrachtet. Das lässt sich aus logischer Sicht natürlich nicht bestreiten, weil die Spiritualität ja gerade den Anspruch stellt, die Logik zu transzendentieren. Dieser logischen Selbstimmunisierung lässt sich grundsätzlich nicht widersprechen. Man kann sie nur akzeptieren oder ablehnen. Damit teilt sich die Musikgemeinde jedoch auf die gläubigen Spiritualisten und die skeptischen Logiker auf.

Etwas einfacher wird es wieder mit „Prayer“, weil hier konkrete Religionen mit einem bestimmten Dogmengerüst – also einer gewissen Logik – mit im Spiel sind. Steinmetz führt hier mehrere – christlich – gläubige Jazzmusiker an – etwa John Coltrane oder Duke Ellington – die ihren ganz konkreten Glauben in ihre Musik einfließen lassen und auch mit Worten dafür eintreten. Insofern stellt dann das jeweilige Werk ein musikalisches Abbild des jeweiligen religiösen Bekenntnisses wider. Ironischerweise lösen sich jedoch einige dieser Musiker wieder explizit von einer konkreten Religion und folgen nach ihren eigenen Worten nur ihrer eigenen, sehr individuellen und nie definierten Spiritualität mit ihrer Sprachlosigkeit.

Die besondere musikhistorische Bedeutung des Jazz liegt demnach darin, dass eine breite Palette ernsthafter Jazzmusiker die Spiritualität, also den transzendentalen Hintergrund ihrer Musik in den Vordergrund stellen. Das kennt man von der klassischen E-Musik so nicht, auch wenn dort ganze Epochen – etwa das Barock – religiös geprägt waren. Die Komponisten, selbst Bach, sahen sich jedoch eher als von Kirche oder Hof bezahlte professionelle Musiker denn als spirituelle Künstler, und für die vom Erstellungsprozess abgekoppelten Orchestermusiker galt das noch verstärkt. Die direkte spirituelle Bindung an das Spiel mit seinen spontanen Improvisationen ist eine Besonderheit des Jazz, der in gewisser Weise das (spontane) Komponieren und das Vortragen in sich vereint.

Uwe Steinmetz bringt diese besondere emotionale Seite der Jazzmusik auf den Punkt und lässt sie am Beispiel einer ganzen Reihe berühmter Jazzmusiker wie Armstrong oder Miles Davis lebendig werden. Von kleineren Lektoratsfehlern – grammatische Verirrungen – abgesehen stellt dieses Buch eine lohnenswerte Einführung in die spirituelle Seite des Jazz dar.

Es ist im Claudius-Verlag erschienen, umfasst 167 Seiten und kostet 20 Euro.

Frank Raudszus

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