Wiz Wharton: „Du hast mir nie erzählt“

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Lily Miller, geborene Li-Li Chen, ist die Tochter von Sook-Yin Chen. Lily erhält eines Tages ein Schreiben aus Hongkong, das sie über eine größere Erbschaft informiert. Einziger Haken an der Sache ist, dass sie nach Hongkong reisen muss, um das Geld dort persönlich in Empfang zu nehmen. So steigt der Leser in die Geschichte dieses Romans ein.

Gleich im zweiten Kapitel wird er indes Jahr 1966 zurückversetzt zu Sook Yin, die gerade zwanzig Jahre alt ist, kaum die vierte Klasse geschafft hat und in Kowloon lebt. Sie kann sich abrackern, wie sie will, und wird doch nie genug Geld verdienen, um ein normales Leben zu führen. Deshalb steigt sie, wie viele Chinesen in dieser Zeit, in der Hoffnung auf ein besseres Leben auf ein Schiff nach London. Dort fängt sie an, als Schwesternhelferin zu arbeiten. Sie möchte von Anfang an im neuen Land dazugehören und gibt sich alle Mühe, das Arbeitspensum zu erfüllen. Enttäuschend ist für Sook-Yin, dass sie weder von ihrer Mutter noch vom Rest der Familie in Kowloon irgendwelche Nachrichten erhält. Bis endlich doch eines Tages eine Nachricht aus Kowloon von ihrer Ma Ma kommt, dass Mao an die Macht gekommen und in Hongkong eine antibritische Stimmung aufgekommen ist.

Sook Yin besteht die Prüfung zur Krankenschwester nicht und muss innerhalb von 24 Stunden ihre Sachen packen und das Krankenhaus verlassen. Sie findet einen neuen Job als Babysitterin für ein junges chinesisches Paar. Doch eines Tages lernt sie Mr. Miller kennen, der ihr Gefühlsleben durcheinander bringt. Sie hatte sich endlich an die Langeweile ihrer Tätigkeit gewöhnt und war mit sich zufrieden. Julian Miller jedoch bestätigt Sook Yin, und so lässt sie sich auf eine Beziehung mit ihm ein. Gleichzeitig ruft ihr Bruder aus Hongkong an und macht ihr Vorwürfe, dass sie ihre Ausbildung nicht erfolgreich abgeschlossen hat. Für ihn und die Familie ist sie eine Kakerlake……

Und dann wird Sook Yin auch noch schwanger von Julian, der nicht der reiche Geschäftsmann ist, als der er sich anfangs ausgegeben hat. Sie heiratet ihn dennoch und muss bald feststellen, dass sie einen Spieler geheiratet hat. Sie bekommt zwei Töchter mit ihm und bringt viele Opfer, um ihre kleine Familie und den spielsüchtigen Mann, den sie durchaus liebt, zu beschützen.

Der Leser begleitet sowohl Sook Yin als auch ihre Tochter Lily von den sechziger Jahren bis in die Gegenwart. Der große Unterschied zwischen der chinesischen und der englischen Kultur lässt die beiden zerrissene Leben führen, in denen sie ständig mit Rassismus zu kämpfen haben. Hinzu kommt das Sook Yin relativ früh und plötzlich verstirbt, was wie ein Schatten über Lilys Leben liegt. Irgendetwas stimmte an dem Tod der Mutter nicht. Als Lily sich schließlich nach Hongkong auf den Weg macht, um ihr Erbe anzutreten, möchte sie auch in Erfahrung bringen, wie ihre Mutter zu Tode kam.

Der Leser erfährt erst ganz zum Schluss, was es mit dem Tod der Mutter auf sich hat. Dabei erfährt er viel über chinesische Familien und deren Clan-Denken sowie über die Schwierigkeiten, mit den eigenen Wurzeln und der neuen – in diesem Fall englischen – Kultur zurechtzukommen und dabei seinen eigenen Weg zu gehen.

Das Buch ist im Eichborn-Verlag erschienen, umfasst 494 Seiten und kostet 24 Euro.

Barbara Raudszus

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