Die Klangfarben der spätromantischen Moderne

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Das sechste Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt präsentierte – wenn man so will – Werke einer spätromantischen Moderne. Damit meinen wir eine Musik, die sich der Tontechnik des von Komponisten wie Schönberg oder Alban Berg geprägten 20. Jahrhunderts verweigerten und die Melodik und Tonalität des späten 19. Jahrhundert pflegten. Das gilt besonders für Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) und für die im Jahr 1980 geborene Dobrinka Tabakova, deren Komposition „Timber & Steel“ den Abend eröffnete. Als Solistin hatte man die chinesische Geigerin Tianwa Yang engagiert, die Leitung des Abends oblag der jungen österreichischen Dirigentin Katharina Wincor.

Die Dirigentin Katharina Wincor

Der Titel ihres Stückes „Timber & Steel“ verweist auf den Spitznamen des „Proms“-Gründers Howard Wood („Timber“) und auf das Industriezeitalter („Steel“), und Tabakova verfolgte damit das Ziel, die Londoner Royal Albert Hall mit Klang zu füllen. Das gelingt ihr in diesem Stück sehr gut, und das Darmstädter Orchester brachte ihre Klangfülle zum Leuchten. Nach einem Eröffnungswirbel des Vibraphons steigen die Blechbläser ein und erzeugen schnell eine an den Swing erinnernde Jazz-Rhythmik. Die lösen dann die Streicher wieder mit ostinaten Motiven auf, und die Celli und Bratschen simulieren mit markanten Tutti den Einsatz von Pauken. Dann wieder herrschen verspielte Klangfarben vor, und die wiederkehrenden, nur leicht variierenden Motive erinnern an die „minimal music“. Wechselnde Motive wandern durch die Instrumentengruppen und erzeugen mal lyrische, mal verspielte und mal auftrumpfende Klangeffekte.

Katharina Wincoe zeigte schon bei diesem einleitenden Werk ihre Präsenz und ihren Gestaltungswillen. Mit energischem, doch stets kontrolliertem Körpereinsatz feuerte sie das Orchester förmlich zu Präzision und musikalischem Ausdruck an. Natürlich erfolgreich. Kräftiger Applaus des von diesem spätromantisch-modernen Werk angenehm überraschten Publikums.

Erich Wolfgang Korngold erwies sich früh als musikalisches Wunderkind und emigrierte als Kind jüdischer Eltern in den dreißiger Jahren in die USA, wo er sein musikalisches Talent allerdings nur in Hollywood nutzen konnte. Seine Filmmusik ist weltberühmt geworden und hat ihm neben viel Ruhm die sauertöpfische Kritik alteingesessener (europäischer) Musikpuristen eingebracht. Sein Violinkonzert in D-Dur op. 35 entstand im Jahr 1945 und erinnert über weite Strecken an die einschlägigen Werke der Spätromantik von Brahms über Bruch bis Tschaikowsky. Lang gezogene, kantable Melodiebögen mit eingängigen Motiven prägen dieses Werk von Beginn an. Tianwa Yang bewältigte diesen schwierigen Solopart mit vielen Doppelgriffen und anderen technischen Besonderheiten mit souveräner Leichtigkeit. Den ersten Satz eröffnete sie ohne Orchestervorspiel und präsentierte die ausgeprägten Melodiebögen und plötzlichen Tempowechseln mit energischer Leichtigkeit. Wie so oft bei solchen Solokonzerten kommt dem Zuhörer das Geigenspiel als eine einfache Angelegenheit vor, wenn jeder Lauf und jede musikalische Wendung wie selbstverständlich in hohem Tempo und mit emotionalem Ausdruck daherkommen. Schon hier spürt man den Hintergrund der weiträumigen amerikanischen Filmmusik, der immer wieder durchscheint. In der freien Kadenz mit außerordentlich schwierigen Griffen konnte Tianwa Yang ihr außerordentliche Virtuosität beweisen.

Die Geigerin Tianwa Yang

Der zweite Satz beginnt mit jenseitigen Harmonien – 20. Jahrhundert! – in den Streichern und erinnert mit seiner weitgehend freien Metrik ein wenig an Gustav Mahler und andere Sinfoniker der spätromantischen Jahrhundertwende. Der dritte Satz beginnt dagegen mit einem Schlag des ganzen Orchesters, der eine wilde Jagd von Violine und Orchester durch die Tonskalen einleitet. Die wiederkehrenden Solo-Einlagen der Geige forderten noch einmal das ganze Können der Solistin und wurden vom Orchester mit knappen, aber markanten Einsätzen begleitet. Auch hier waren wieder deutliche Zitate von Filmmusiken zu vernehmen, wobei jedoch die Zuordnung zu konkreten Filmen den Experten überlassen bleiben musste.

Katharina Wincor steuerte das Orchester souverän durch diese turbulenten Musikströme und sorgte mit energischen Dirigierimpulsen trotz des hohen Tempos und der Expressivität für Klarheit und Transparenz.

Der Beifall des Publikums brachte dessen Begeisterung deutlich zum Ausdruck und führte noch zu zwei eindrucksvollen Solo-Zugaben.

Nach der Pause erklang dann Antonin Dvoraks im Jahr 1889 entstandene 8. Sinfonie, eine seiner meistgespielten Werke. Hier regiert noch die echte Spätromantik, die noch nicht mit der Atonalität des 20. Jahrhundert zu kämpfen hatte. In Dvoraks Werken spürt man neben dem böhmisch-mährischen Hintergrund stets auch den Einfluss des Mentors Brahms, nur dass Dvorak immer etwas befreiter und lebensfroher, auf der anderen Seite aber auch melancholischer klingt als jener. So dominieren die böhmisch-melancholischen Klänge auch gleich den ersten Satz, Vogelstimmen der Flöten beleben das Klangbild, und schließlich führt ein auftrumpfendes Motiv aus der lyrischen Grundstimmung hinaus. Nach einer nachdenklichen Phase folgt eine sich fugenähnlich auftürmende Durchführung, die sogar gewisse Anklänge an Smetanas zu Tal stürzende „Moldau“ aufweist. Den zweiten Satz prägen Sehnsuchtsmotive, Klänge der Entsagung und gar der Trauer, die dann umschlagen ins Tragisch-Bedeutungsvolle, fast ins Majestätische. Hier lässt sich das Lebensgefühl der k.u.k-Monarchie authentisch nachvollziehen.

Der dritte Satz löst diese entsagungsvolle Stimmung wieder in tänzerische Leichtigkeit auf, die sich langsam in ruhige Gesetztheit wandelt, bevor der Takt sich vom walzerartigen 3/$-Takt in einen forschen 4/4-Marsch verwandelt. Katharina Wincor steuerte das Orchester sicher durch all diese musikalischen Ausdruckswechsel und vermittelte ein lebhaftes Bild von Dvoraks musikalischer Ausdrucksbreite.

Der Finalsatz setzt dann mit exakt gespielten Fanfaren der Trompete ein, der in eine majestätische Passage übergeht. Auch hier wieder Erinnerungen an die Kaiserzeit. Mit zunehmendem Tempo setzt dann dann die lange Schlussphase mit mehreren scheinbaren Schlussakkorden ein, und das Finale wirkt dann wie ein freudiger Marsch eines Volkes in eine goldene Zukunft – die leider so nicht stattfinden sollte.

Diese lebendige und ausdrucksstarke Interpretation rundete das Konzert zu einer rundherum gelungenen musikalischen Veranstaltung ab, und alle Beteiligten, vor allem aber die Solistin und die temperamentvolle Dirigentin, hatten ihren Anteil daran.

Das Publikum verabschiedete das Ensemble mit kräftigem, lang anhaltendem Beifall.

Frank Raudszus

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