Zeitreise ins Barock

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Seit der Erfindung des Hammerklaviers führt das Cembalo im Konzertbetrieb nur noch ein Schattendasein; heute dominiert der Flügel das Geschäft der Tastenmusik und hat selbst das gute alte Klavier in den Musikunterricht für Kinder verbannt. Das Cembalo kennt man (fast) nur noch aus Erzählungen oder aus Museen, von vereinzelten Einsätzen in barocken Werken abgesehen. Da ist es schon ein Ereignis, wenn ein Konzerthaus, in diesem Fall das Musikressort des Staatstheaters Darmstadt, einen ganzen Kammermusikabend nur diesem Instrument widmet. Dafür hatte man allerdings einen einzigartigen Interpreten gefunden, nämlich den Exil-Iraner Mahan Esfahani, der – aus einer nicht-westlichen Musiktradition kommend – diesem Instrument eine internationale Wiedergeburt beschert hat.

Der Cembalist Mahan Esfahani

An diesem Abend bot er eine breite Palette vom frühen Barock – Buxtehude – über den Spätbarock – Bach – bis zur Moderne mit Srnka und Andriessen – und wieder zurück zum Barock eines Scarlatti. Damit bestätigt Esfahani sowohl die große Barock-Karriere dieses Instruments als auch seine heutige Lebensberechtigung.

Doch erst einmal muss man sich als Zuhörer an dieses Tasteninstrument gewöhnen, ist man doch durch die Präsenz und akustische Raumfüllung des heutigen Flügels verwöhnt oder verdorben – wie man´s nimmt -, so dass man den Wortsinn der „Kammermusik“ bisweilen nur schwer nachvollziehen kann.

Beim Cembalo aber nimmt sie Gestalt an; wenn Esfahani zu Beginn Buxtehudes 32 Variationen „La Capricciosa“ spielt, dann fühlt man sich in dem großen Saal der Darmstädter Orangerie fast fehl am Platze. Diese Musik gehört wirklich in eine musikalische „Kammer“ mit wenigen Zuhörern, so verhalten und geradezu privat wirkt der Klang dieses Instruments. Esfahani verzichtete auch bewusst darauf, schon zu Beginn das Instrument voll auszureizen, und zeigte an diesem Werk einerseits die Variationsbreite der Cembalo-Musik von Buxtehude und andererseits seine perfekte Beherrschung dieses Instruments. Trotz der lebendigen Partitur wirkt diese Musik geradezu introvertiert; die Klangfarben wechseln von transparenter Sparsamkeit bis zur fülligen Pracht, aber stets bleibt sie sozusagen im Besitz des Vortragenden und erobert nicht den Raum. Flirrende Läufe, mit hoher Sensibilität vorgetragen, und chromatische, streckenweise an den modernen Jazz erinnernde Passagen tragen zu der hohen Intensität dieses Variationenwerks bei, dem man sich als Zuhörer aktiv nähern muss, da es in den Esfahanis Händen „bei sich“ bleibt.

Das hört sich dann bei Johann Sebastian Bachs Partita III in a-Moll schon anders an. Bach verleiht der bekannte Tanzfolge seiner Partita durchaus Außenwirkung, was sich auch in der deutlich extrovertierteren Präsentation von Esfahani niederschlug. Vor allem in der Burleska, dem Scherzo und der Gigue entlockte der Solist dem Instrument repräsentative Klangfülle, die auch größere Räume füllt. Natürlich erreicht es nie die Präsenz eines Klaviers oder gar Flügels, aber das erwartet man von diesem Instrument auch nicht. Es bringt jedoch in seiner „Verletzlichkeit“ das von Unsicherheit und Endlichkeit geprägte Lebensgefühl des Barocks zum Ausdruck.

Noch vor der Pause zeigte Esfahani anhand der Komposition „Triggering“ des 1975 geborenen Miroslav Srnka, dass das Cembalo heute durchaus nicht nur musealen Wert besitzt. In den sehr alltagsnah bezeichneten Teilstücken – kann man hier von „Sätzen“ reden? – wie „Digital Wounds“ oder „Does God Shoot his own Particles?“ reizte er die Klangeigenschaften dieses Zupfinstruments bis an die Grenzen aus. Neben ausgefallenen Klangkombinationen an den Tasten bietet er händische Manipulationen der Saiten oder Anschlagsvarianten, die nicht mehr an ein Tasteninstrument erinnern. Das hat bisweilen mit herkömmlicher (Tasten-)Musik wenig zu tun, bietet aber immer wieder überraschende klangliche Effekte. Hier war der Beifall des ausnahmsweise nicht so zahlreich erschienenen Publikums im Gegensatz zu den ersten beiden Stücken etwas sparsamer.

Nach der Pause ging es erst einmal mit einem Zeitgenossen weiter, nämlich dem 2021 verstorbenen Niederländer Louis Andriessen. Mahan Esfahani trug seine „Overture to Orpheus“ vor, die in einem auf Achtelnotenabstand verkürzten Kanon besteht. Andriessen glaubte, dass Orpheus statt der Leier ein Cembalo gewählt hätte, wenn es ihm denn zur Verfügung gestanden hätte. Die weitgehend horizontale Notenfolge ohne akkordische Effekte entwickelt eine gerade durch ihre tonale Sparsamkeit besonders eindringliche Wirkung, und man konnte sich nach diesem Vortrag – frei nach Camus – Orpheus als glücklichen Menschen vorstellen.

Den Abschluss bildeten ausgewählte Sätze aus sechs Cembalo-Sonaten des Bach-Zeitgenossen Domenico Scarlatti. Hier spiegelt sich noch einmal das Wesen der Barockmusik in einem einzelnen Instrument auf exemplarische Weise wider. Gerade die Beschränkung auf die zarte Klangwirkung dieses Instrument – ohne die erschlagende Wirkung der Orgel oder der großen Chöre – bringt noch einmal die Paarung von Lebensangst und Lebensfreude des Barocks besonders deutlich zum Ausdruck. Mahan Esfahani zeigte in den unterschiedlichen Sätzen die ganze Bandbreite sowohl der Barockmusik als auch dieses speziellen Instruments auf beeindruckende Weise auf.

Das Publikum dankte es ihm mit kräftigem Beifall, und er wiederum antwortete mit einer weiteren Barock-Zugabe.

Frank Raudszus

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