Fuge der Ausweglosigkeit

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Als Jean-Paul Sartre im Jahr 1944 den Einakter „Huis Clos“ – auf Deutsch „Geschlossene Gesellschaft“ – veröffentlichte, befand sich Frankreich in einer ähnlichen Situation wie seine Protagonisten: eingeschlossen in der „Hölle“ der deutschen Besatzer, die jeden Widerstand mit drakonischen Mitteln bestraften. Insofern war dieses Stück auch eine Anspielung auf die historische Situation, obwohl Sartre damit wesentlich grundsätzlichere, ja existenzielle Situationen ansprach. Er sah die Menschen als einsame Wesen in die Welt geworfen, ohne Trost oder gar Schutz durch „höhere“ Instanzen. Damit waren sie auch für ihr eigenes Schicksal und das der von ihnen bewohnten Welt selbst verantwortlich.

Patrycia Ziolkowska, Anna Kubin, Heidi Ecks, Matthias Redlhammer

Drei Personen – der Journalist Garcin, die reiche und schöne Estelle und die Postangestellte Inès – treffen nach ihrem jeweils vorzeitigen Tod im fiktiven Jenseits zusammen, eingeschlossen in einen Raum ohne Entkommen. Nur ein Diener steht ihnen als Kontakt zur wie auch immer gearteten Außenwelt zur Verfügung und stellt das Prinzip Hoffnung dar. Doch trotz seiner geradezu gebetsmühlenartig gestellten Frage, ob man ihn noch brauche, geht keiner der drei auf diese Frage ein, weil alle nur mit sich beschäftigt sind. Man kann in dem Diener eine Allegorie der „nicht mehr gebrauchten“ Religion sehen, die selbst keine aktive Hilfe mehr anbieten kann und nur hilflos nach ihrem Auftrag fragt.

Alle drei Personen haben im Leben schwere Schuld auf sich geladen: Garcin war feige, Estelle hat ihr Kind umgebracht und Inès hat zwei Menschen in den Tod getrieben. Alle drei erwarten voneinander Verständnis oder gar Absolution, gewähren sie aber selbst nicht. Man entlockt sich gegenseitig die dunklen Geheimnisse und schlachtet dieses Wissen gnadenlos aus. Bei Sartre geht es vorrangig um dieses Alleinsein mit der Schuld, ja um die grundsätzliche Isolation des Menschen, der sich auf keine äußere Hilfe verlassen kann, selbst aber auch nicht hilft. „Die Hölle – das sind die Anderen“ ist denn auch einer der Kernsätze dieses Stücks.

Patrycia Ziolkowska, Matthias Redlhammer, Heidi Ecks, Anna Kubin

Im Schauspiel Frankfurt hat die Regisseurin Johanna Wehner eine sprachliche Perspektive gewählt, die den narrativen Zugang zwar nicht verstellt, aber seine Bedeutung reduziert. Die je individuelle Schuld der Protagonisten erzählt sie nicht als psychologische oder gesellschaftskritische Geschichten, sondern lässt sie nur durch das Sprachgewirr der drei durchsickern. Es geht ihr nicht um das „Gut“ oder „Böse“ sondern um die Unmöglichkeit der Kommunikation in einer auf sich selbst zurückgeworfenen und prinzipiell narzisstischen Gesellschaft. Dazu lässt sie ihre Figuren eine Reihe alltäglicher oder gar banaler Bemerkungen in verschiedenen stimmlichen Lagen und Ausdrucksformen wiederholen. Die resignative Feststellung „So ist das“ etwa geht nicht nur durch die Münder aller drei Personen sondern wiederholt sich nach einem wiederkehrenden Muster mehrere Male. Ähnliches gilt für andere Aussagen wie etwa das Wort „draußen“, das alles außerhalb der „Hölle“, in der sich die drei zu befinden glauben, bezeichnet und gleichzeitig eine vage Hoffnung beinhaltet. Diese und andere Redewendungen werden geradezu komponiert wie bei einer musikalischen Fuge, bei der sich ein Thema ebenfalls in verschiedenen Lagen und gegeneinander versetzt wiederholt.

Diese Fuge der Ausweglosigkeit zieht sich durch die gesamte Inszenierung. Nahezu jede Beichte, Erklärung oder Erkenntnis wird zu einer kurzen Redewendung bis an den Rand der Banalität verdichtet und dann fugenartig wiederholt. Damit orchestriert die Regisseurin die Unfähigkeit zu einer sinnhaften Kommunikation. Diese Unfähigkeit ist jedoch keine akzidentielle im Sinne einer erlernbaren Alltagskunst, sondern – laut Sartre – dem Menschen aufgrund seiner existenziellen Einsamkeit eingebrannt. Konsequenterweise gibt es in dem Stück auch keinen Erkenntnisfortschritt, sondern die Figuren kreisen endlos umeinander und um die eigene Schuld, ähnlich einer Fuge, die das Eingangsthema in verschiedenen Stimmen mit nur kleinen Variationen bis zum Ende wiederholt. Und auch eine solche Fuge hat kein vorgegebenes Ende, sondern kann sich sozusagen ewig „weiter drehen“.

Mit einem dramaturgischen Kunstgriff erlaubt Sartre allen drei Figuren, aus dieser Hölle auf ihre ehemalige Umgebung zurückzuschauen und das Verhalten ihrer ehemaligen Mitmenschen zu verfolgen. Geradezu gebannt hungern die drei nach Absolution oder zumindest positiven Aussagen seitens der ehemaligen Freunde oder Bekannten, ohne sie zu erhalten. Alle Aufmerksamkeit gilt trotz der Endgültigkeit des Abschieds der eigenen Vergangenheit, während die Leidensgenossen der aktuellen Lage gering geschätzt und ignoriert werden.

Anna Kubin, Matthias Redlhammer, Heidi Ecks, Patrycia Ziolkowska

Die Darsteller gestalten ihre Rollen nicht als handlungspralle Alltagsgestalten sondern als Archetypen. Anna Kubin spielt die verwöhnte Estelle als selbstverliebte Narzisstin in rosa Abendrobe und mit überdimensioniertem Federkopfschmuck, die ständig aber vergeblich nach einem Spiegel fragt, da sie nur beim Anblick ihrer selbst Gewissheit ihrer Existenz gewinnen kann. Patrycia Ziolkowska tritt als lesbische Inès dagegen eher offensiv wenn nicht aggressiv auf und übernimmt in gewisser Weise die Regie innerhalb der Dreierkonstellation, während Matthias Redlhammer einen in sich zusammengesunkenen Garcin gibt, der stets ein (intellektueller) Held sein wollte und im Ernstfall kläglich versagt hat. Weinerlich sich windend gesteht er dieses feige Verhalten bruchstückhaft ein, nicht ohne gleich die Selbstanklage durch halbe Entschuldigungen aufzuweichen.

Das Bühnenbild von Volker Hintermaier unterstreicht die Enge der virtuellen Hölle. Ein flacher achteckiger Trichter aus Metall und Holz verengt sich nach hinten, und eine ebenfalls nach hinten leicht ansteigende Treppe verstärkt die klaustrophobische Wirkung noch. Am hinteren Ende des Trichters besteht nicht einmal mehr Stehhöhe, so dass vor allem Estelle eine für sie existenzielle Einschränkung ihres Auftritts hinnehmen muss. Die permanenten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch diesen Rahmen sind gewollt und verstärken den Eindruck einer existenziell „eingeschlossenen Gesellschaft“ noch.

Mit dieser Inszenierung hat Das Schauspiel Frankfurt bewiesen, dass der ideengeschichtlich oft totgesagte Sartre auf der Bühne durchaus noch etwas mitzuteilen hat. Aber das kennt man ja von Brecht und anderen Autoren, die auch einmal aussortiert wurden und dann doch wieder eine Wiedergeburt aus einer anderen Perspektive erlebten.

Frank Raudszus

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