Raumkunst zum Elend der Welt

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Nach der künstlerischen Dürreperiode der Pandemie öffnet die Frankfurter Kunsthalle Schirn Anfang September wieder die Tore für eine neue Ausstellung. Sie zeigt die Raumkunst des iranischen Künstlertrios Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian, das im Jahr 2009 seine Zelte im Dubaier Exil aufgebaut hat. In Iran war ihre Kunst offensichtlich nicht mehr erwünscht. Der Titel der Ausstellung lautet „Either he´s dead or my watch has stopped“ frei nach Groucho Marx.

Der „ikonische“ Esel

Die drei Iraner beschäftigen sich mit den Hauptthemen des Nahen und Mittleren Ostens, die vor allem aus Fundamentalismus, Krieg und Repression bestehen. Sie wählen dafür multimediale Ansätze wie Malerei, Skulpturen und Videos. Die Malerei besteht dabei jedoch nicht in klassischen, abgeschlossenen Bildern, die dem Betrachter ein ausgewähltes Sujet präsentieren, sondern wird zum Teil des Raums selbst. Dazu haben sie den Boden des Ausstellungsraumes flächendeckend mit verschiedenen Figuren, Szenen und Allegorien bemalt und erlauben den Besuchern nicht nur, diese zu betreten, sondern fordern sie geradezu dazu auf. Dadurch werden die Besucher implizit Teil der Installation. Sie begeben sich sozusagen ins Bild und damit in die dargestellten Geschichten.

Noch ein Blick auf den Boden

Ein Mittelpunkt dieses Bodengemäldes sind verschiedene Ansichten von Eseln, meist nur Kopf und aufgerissenes Maul. Der Esel hat im Iran eine zentrale Bedeutung als leidensfähiges, fleißiges und bescheidenes Wesen. Als Reittier verleiht er dem Reiter nicht die Aura der Macht, sondern eher die der Demut fast bis zur Lächerlichkeit. Hier positioniert sich das Trio deutlich gegen den Westen, der das stolze Pferd als Tragetier des mächtigen Mannes gerne in den Mittelpunkt stellt. Daneben zeigt das Bodenbild eine Menge von angedeuteten menschlichen Figuren, die sich alle mit dem Handy beschäftigen. Das Bild mit den (um das Handy) gefalteten Händen und dem (zum Handy) gesenkten Kopf löst die entsprechenden sakralen Vorgänger ab. Handy statt Jesuskind, möchte man spontan sagen.

Wer sich die Zeit nimmt und nicht zuviel Nebenleute auf dem Bild vorfindet, wird noch viele kleinere Themen und Ikonen in diesem raumgreifenden Bild entdecken.

Einer der „hängenden Esel“ im Vordergrund

An den Wänden sind Videoschirme installiert, die verfremdete Videos zu Themen der Zeit zeigen. So sind die Flüchtlingsströme der letzten Jahre optisch verzerrt und mit Tierköpfen ausgestattet, um die existenzielle, naturwüchsige Not dieser Bewegung zu zeigen, aber auch, um die Abwertung der Flüchtenden quasi zum Tier ohne jegliche Menschenrechte zu verdeutlichen.

Auf und über dem Bild stehen und hängen verschiedene Skulpturen. Da sind Teller in allen Farben und mit treffenden Texten zu Vertreibung und Unterdrückung der Menschen, dann wieder ein Wasserspiel mit seltsam anmutenden Wasserspeiern. Die größten Skulpturen sind jedoch zwei hängende Installationen aus Textilen Wülsten und Rollen, die als Allegorie des bereits erwähnten Esels zu verstehen sind, der hier fast zur Allegorie gerät.

Das Bild von Mutter und Sohn…

Die größte Aufmerksamkeit jedoch erregt ein Bild auf einer fast raumhohen, lose hängenden, halb transparenten Stoffbahn: Eine ältere Frau trägt einen kinnlosen Schädel auf dem Kopf und hält ein Bündel von Knochen in der Hand. Erscheint schon dieses Bild an sich ein wenig makaber, so steigert sich die Wirkung noch, wenn man erfährt, dass es sich hierbei um die Überreste ihres Sohnes handelt, den man zehn Jahre nach iranisch-irakischen Krieg endlich identifizieren konnte. Dieses scheinbar pietätlose weil grotesk-makabre Bild entwickelt mit dem Wissen um die Hintergründe eine berührende, fast endzeitlich-religiöse Wirkung.

Aufgrund der Corona-Krise konnten die drei Künstler nicht selbst zur Eröffnung erscheinen. Sie begrüßen das Publikum stattdessen über ein Video mit einer kurzen Ansprache, die auch wiederum teil der Ausstellung ist.

Die Ausstellung läuft vom 3. September bis zum 13. Dezember 2020.

Frank Raudszus

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