Pichler/Hartl: „Aus die Maus“

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In den einschlägigen Ressorts von Tages- und Wochenzeitungen erscheinen zunehmend Berichte über Depressionen und suizidale Tendenzen in der Gesellschaft. Mittlerweile befasst sich das Genre der Lebensratgeber intensiv mit diesem Thema und versucht auf vielfältige Weise, die Opfer eines mehr oder minder misslungenen Lebens wieder aufzubauen. Dabei ist jedoch jedem Ratgeber die Tendenz zu didaktisch-pädagogischen, ja: paternalistischen Ausführungen immanent; schließlich will man den bedauernswerten Menschen ja helfen. Humor ist da sehr gefährlich, weil er von den Lesern falsch verstanden werden kann.

Der Psychotherapeut Wolfgang Pichler und der Sachbuchautor Thomas Hartl haben sich dennoch entschieden, ihren Ratgeber für alle schiefen Lebenslagen aus der Gegenperspektive zu entwickeln. Die eigene Erfahrung hat den Therapeuten gelehrt, dass die meisten seiner Patienten sich in gewisser Weise selbst in die seelische Sackgasse begeben und nicht mehr umkehren können. Also nimmt er als Hypothese seines Buches an, dass viele Menschen sich ein richtig mieses Leben wünschen, und stellt fest, dass sie diesen Wunsch oft konsequent in die Tat umsetzen.

Also erklären die beiden Autoren sich bereit, ihrem Lesepublikum mit Rat und Tat bei der Realisierung eines misslungenen Lebens zur Seite zu stehen. Das ist ganz einfach: man muss nur die Lebensstrategien der unglücklichen Patienten als vorbildlich hinstellen und alle Macken und seelischen Verhärtungen schön pflegen, um das persönliche Leid zu maximieren.

Natürlich merkt man von der ersten Seite an, dass dies bissige Ironie ist, die lediglich einen Trick darstellt, über diese oft als fragwürdig betrachtete Humorschiene die Opfer ihrer eigenen Lebensstrategien wachzurütteln. Wer sich von väterlich kopfnickenden Ratgebern längst abgewandt hat, weil sie die jeweils „singuläre“ (Reckwitz!) Lebenssituation einfach nicht zu schätzen wissen, wird vielleicht durch den sarkastischen Humor dieses Buches aus der eigenen Erstarrung gerissen.

Pichler und Hartl gehen anhand vieler Beispiele aus der therapeutischen Praxis die ganze Palette persönlicher Verkrampfungen und Verhärtungen durch: der Hang zu negativen Gedanken („die Welt ist schlecht“), Unterdrückung von Emotionen, Selbstoptimierung, Verfolgen realitätsferner Ziele und Erfolgsstrategien, Hass auf den eigenen Körper, Verklärung der ach so guten alten Zeit, um nur einige zu nennen. Jedes dieser Themen bereiten die beiden konsequent in Richtung eines zu erzielenden Abwärtstrends auf und sparen dabei nicht mit satirischen Vorschlägen für das Vermasseln des eigenen Lebens.

Natürlich liest man das Buch spätestens nach dem ersten Kapitel so, wie die beiden Autoren es eigentlich meinen, und dabei wird die Krux dieses Ansatzes deutlich. Die ironische Umkehrung ist ein guter Aufhänger für den Anfang, aber er läuft sich sehr schnell tot, wenn man ihn einmal als solchen erkannt hat. Man möchte den beiden spätestens ab dem dritten Kapitel zurufen, dass es jetzt gut sei und man verstanden habe. Aber eine Umkehrung des ironischen Ansatzes mitten im Buch würde auch nicht funktionieren, weil dann die Leser meinen, man halte sie nicht für intelligent genug, das zu verstehen. Also müssen die Autoren ihre Strategie bis zum bitteren Ende durchhalten, obwohl der humoristisch-ironische Effekt sich doch bald verflüchtigt.

Das soll keine Abwertung sein, sondern nur ein Hinweis, dass man die Gefahr der paternalistischen Biederkeit nicht mit forcierter Ironie bannen kann. Man treibt sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub aus. Die Autoren scheinen das auch selbst zu merken und vergessen(?) über ganze Passagen die Ironie, um sie dann schnell im Sinne der Durchgängigkeit wieder einzuführen. Diese „unironischen“ Phasen wirken dann plötzlich richtig überzeugend, halt wie ein therapeutisches Fachbuch.

Dabei wirkt das Buch gerade auf Leser, die sich nicht zu den Fallbeispielen, also der Zielgruppe, zählen, durchaus auflockernd wenn nicht erheiternd. Man erwischt sich beim Lachen und hat sofort ein schlechtes Gewissen. Wie aber nehmen diejenigen dieses Buch auf, die gemeint sind? Es ist zu befürchten, dass sie sich nicht ernst genommen, ja gar verspottet fühlen. Auf der anderen Seite ist es einen Versuch wert, denn wer für sarkastischen Humor nicht empfänglich ist, der nimmt auch die „ernsthafte“ Methode nicht an. Es wäre auf jeden Fall aufschlussreich, ob und welche Rückmeldungen die Autoren aus dem Kreis der Betroffenen erhalten.

Das Buch ist im Goldegg-Verlag erschienen, umfasst 197 Seiten und kostet 17 Euro.

Frank Raudszus

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