Kathrin Röggla: „Besser wäre: keine“

Print Friendly, PDF & Email

1309_besser_keine.jpg

Essays und theatralische Versuche über Katastrophen und ihre Bekämpfung

Kathrin Röggla ist freie Autorin und schreibt sowohl Drehbücher für Film und Fernsehen als auch Theaterstücke über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen. In dem vorliegenden Sammelband befasst sie sich im weitesten Sinne mit dem Katastrophenbegriff. Am Anfang stehen zwei Texte über katastrophische Situationen. In diesen beschreibt sie unsere heutigen Städte als Stätten einer konsequenten und fortschreitenden Segregation gesellschaftlicher Gruppen. Sie verklärt zwar das ländliche Leben nicht romantisch als den Hort aller Authentizität und gesellschaftlicher Solidarität, aber ein wenig schwingt eine solche Sicht in ihrer Kritik an der urbanen Separation der gesellschaftlichen Gruppen mit. Dabei beschreibt sie die Segregation als typische Erscheinung der heutigen, konkret: der kapitalistischen Welt. Der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Segregation wird gerade dadurch deutlich, dass sie vor allem amerikanische und deutsche Städte mit dieser Kritik belegt.

Obwohl sie weitgehend eine zutreffende Diagnose trifft, verzerrt sie die Situation jedoch insofern, als sie die Entwicklung als typische Verschlechterung der gesellschaftlichen Bedingungen unter dem Kapitalismus beschreibt. Das suggeriert die Vorstellung, die Ritter des Mittelalters hätten mit ihren Leibeigenen in herzlicher Gemeinschaft gelebt ebenso wie die Adligen der späteren Jahrhunderte mit den Bürgern und Tagelöhnern oder wie die Bürger des 19. Jahrhunderts mit den Landleuten und Arbeitern. Will sagen: Segregation gab es schon immer und zwar wesentlich ausgeprägter als heute. Solidarität hat es – wenn überhaupt – nur in schlechten Zeiten gegeben, etwa nach dem zweiten Weltkrieg oder zur Zeit der Befreiungskriege. Sobald es den Menschen besser geht, differenzieren sie sich gegeneinander aus.

Die zunehmende Überwachung und Kontrolle des täglichen Lebens durch den Staat zwecks Katastrophenabwehr ist ein weiterer Kritikpunkt, den Röggla aufgreift. Doch gleichzeitig entlarvt sie – in Gesprächen mit Experten – dass die Behörden große Lücken in der Katastrophenprävention nicht schließen. Den offensichtlichen Widerspruch übersieht oder verdrängt sie jedoch. Ob es um Naturkatastrophen oder von Menschen verursachte Katastrophen geht: in jedem Fall erfordert eine vollständige Prävention eine weitaus feiner granulierte Überwachung des täglichen Lebens als heute (schon) üblich. Röggla fordert implizit also genau das, was sie angreift.

Weiterhin beklagt sie – im zweiten Text – die allgemeine Ökonomisierung und Effizienzsteigerung innerhalb der Gesellschaft. Das ist allerdings nicht neu und wird bereits seit einiger Zeit angeprangert. Natürlich gibt es auf diesem Gebiet einige Fehlentwicklungen und Übertreibungen, aber entzieht man diesen Debatten einmal den moralischen Diskant, bleibt die Forderung übrig, unökonomisch und ineffektiv zu leben. Gerade die Ökonomisierung und gesteigerte Effizienz der letzten einhundertfünfzig Jahre – eigentlich mit dem Beginn moderner Naturwissenschaft und Technik – hat jedoch zu einem ungeahnten Anstieg des weltweiten Wohlstands geführt. Röggla erliegt hier der linken Larmoyanz, die unausgesprochen die Marxschen Visionen vom Menschen, der je nach Lust und Laune mal fischt und mal malt, fortschreibt. Auf der anderen Seite pflegt sie stellenweise den von Sloterdijk kreiierten (und kritisierten) „Katastrophen-Sarkasmus“, der den Untergang einer grundfalschen Weltordnung aus höherer Sicht und fast lustvoll diagnostiziert, ohne ein konkrete Alternative vorzuschlagen.

In einer längeren „Rohform“ eines Theaterstücks beschreibt sie die Reaktionen verschiedener Charaktere – die „Präsenzmaschine“, die „Medienmaschine“, die „Mythenmaschine“ –  auf eine Katastrophe, die eng an „9/11“ angelehnt ist oder sogar direkt auf dieses Ereignis verweist. Die Szenen beleuchten die psychologischen Abläufe, die von einer solchen Katastrophe ausgelöst werden: der Präsenzmensch reagiert mit unmittelbarer Furcht, der Medienmensch mit reflexartiger Vermittlung und Archivierung und der Mythenmensch liefert die Deutung bis hin zur Verschwörungstheorie.

In weiteren Texten geht Kathrin Röggla auf die Entwicklungshilfe ein und berichtet von eigenen Besuchen in Entwicklungsländern und von ihren Gesprächen mit Entwicklungshelfern. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass die meisten Entwicklungsprojekte zwar gut gemeint aber schlecht gemacht sind. Wenn Hilfslieferungwn des Westens aufgrund der Warenschwemme die lokalen Märkte zerstören, ist das genauso fragwürdig wie die Zollschranken der EU, die den Entwicklungsländern den Export ihrer Waren erschweren. Die Erfahrungsberichte der Helfer, von Kathrin Röggla gesammelt und gesichtet, führen oft zu dem Schluss: „Besser wäre: keine [Entwicklungshilfe]“.

Auch zu dem Thema „Entwicklungshilfe“ hat sie einen dialogischen Text verfasst, der die Situation rückkehrender Entwicklungshelfer beschreibt, die sich in dem geregelten bundesrepublikanischen Leben nicht mehr zurechtfinden und ihren Projekten nachtrauern. Gemäß diesem – durchaus glaubwürdigen – Stück hat sich hier eine eigene „Kultur“ gestrandeter Helfer gebildet.

Eine andere Geschichte, selbst erlebt und daher authentisch, beschreibt den schwierigen und oftmals äußerst widersprüchlichen Wiederaufbauprozess im Kosovo, wo die Verantwortlichen oftmals zu den drei berühmten „Affengesten“ greifen müssen, um nicht zugeben zu müssen, dass bestimmte Projekte scheitern werden oder bereits gescheitert sind. Da geht es um Altlasten, gesundheitsschädliche Produktionsprozesse und hoffnungslos veraltete Strukturen.

Kathrin Röggla beweist in ihren Texten eine umfassende Kenntnis der philosophischen Literatur des 20. Jahrhunderts, wobei sie mit Vorliebe die französische Linke zitiert, sowie angrenzender Geisteswissenschaften. Sie findet zu jedem Thema weitreichende Assoziationen und Querverweise zu entsprechenden Autoren, geht jedoch diesen Verweisen nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Analyse auf den Grund. Das ist auch nicht die Aufgabe ihrer Texte. Sie sieht sich – und das ist ihr gutes Recht – in erster Linie als Literatin mit hoch entwickelten politischen und philosophischen Interessen. Sie entlockt vielen Dingen des gesellschaftlichen und politischen Alltags neue Aspekte, die man durchaus kontrovers diskutieren kann. Am Schluss bricht sie auch noch eine Lanze für die „Ironie“, die nach ihrer Sicht in der offiziellen intellektuellen Landschaft mittlerweile degoutiert wird. Ob diese „Ironiephobie“ tatsächlich soweit verbreitet ist, wie sie meint, sei dahingestellt, in ihrem Text über „Ironie und Kritik“ zeigt sie jedoch nicht nur ironische Fähigkeiten sondern auch einen hintergründigen Humor.

Wer unkonventionelle Kommentare zum Zeitgeschehen sucht und sich gerne an provokanten Thesen reibt, sollte sich dieses Buch zumindest auszugsweise zu Gemüte führen.

Das Buch „Besser wäre: keine““ ist im Verlag S.Fischer unter der ISBN 978-3-10-066062-6 erschienen, umfasst  410 Seiten und kostet 22,99 €.

Frank Raudszus

 

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar