Wo Juno zu Jupiters „Mutti“ wird…..

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Michael Quast präsentiert beim Rheingau Musik Festival Jaques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ .

Wie soll man Michael Quast eigentlich bezeichnen? Als Musiker oder als Komiker? Die offizielle, nicht vorhandene Bezeichnung „Musik-Komiker“ wäre wohl am treffendsten, denn fast alles, was er schauspielerisch anfasst, hat etwas mit Musik zu tun. Schließlich hat er ja auch ein Studium der Musik und der darstellenden Kunst absolviert, was man angesichts seines Komödiantentums leicht vergisst. Schließlich assoziiert man besonders in Deutschland ein Studium dieser Künste stets mit „seriöser“ Kunst, etwa Beethoven-Sonaten oder „Faust I“. Dass ein „Studierter“ vollständig sich der Komik, und dann auch noch einer drastischen, widmen kann, nistet sich schwer in den Köpfen des deutschen Theaterpublikums ein.

Michael Quast hat sich in den letzten Jahren auf die musikalische Kleinkunst konzentriert. Das wäre im Prinzip nicht komisch, wenn er nicht die Verdichtung großer Opern- und Operettenwerke auf eine „Ein-Personen“-Inszenierung zu seinem Programm gemacht hätte. Die Konzentration sämtlicher Figuren in einer Person birgt allein schon ein hohes Komikpotential in sich, und wenn man eine solche Version „großer“ Musik mit einem so umwerfenden Temperament und Phantasie präsentiert, dann ergeben sich die Lachstürme geradezu von selber. Zu dem Erfolg trägt auch Quasts Partner Rhodri Britton am Klavier bei. Die Tatsache, dass er einst – in Arkadien? – Altphilologie studiert hat, verschafft dieser Inszenierung die entsprechende wissenschaftliche Basis. Dass er auch noch ein hervorragender Pianist und ebenfalls ein bisschen Komiker ist, rundet die Aufführung ab.

Rhodri Britton (l.) und Michael Quast in Aktion

Rhodri Britton (l.) und Michael Quast in Aktion

An dieser Stelle haben wir bereits Michael Quasts Versionen von Mozarts Don Giovanni – „Don Giovanni à trois“ und Offenbachs „Die schöne Helena“ vorgestellt; im Rahmen des Rheingau Musik Festivals präsentiert er in diesem Jahr Jacques Offenbachs Operette „Orpeus in der Unterwelt“ im Weingut „Domäne Rauenthal“ bei Eltville. Der Witz liegt auch darin, dass Quast eine Parodie parodiert, denn bereits Offenbach hatte seine Operette als Parodie auf den Antiken-Kult seiner Zeit verfasst und darin obendrein kräftige Seitenhiebe auf die Sitten seiner großbürgerlichen Zeitgenossen ausgeteilt. So ist der Besuch der gelangweilten Götter in der Unterwelt als deutliche Anspielung auf die Doppelmoral der damaligen Gesellschaft zu verstehen, und Napoleon III. sah sich obendrein in der Figur des liebestollen Jupiter karikiert.

Michael Quast setzt jetzt noch „einen drauf“ und dreht das Stück in die Banalität der Moderne. Orpheus und Euridyke sind – wie schon bei Offenbach – kein liebendes Paar mehr sondern total zerstritten und stehen vor der Scheidung. Da kommt es Orpheus gerade recht, dass Euridyke mit dem Nachbarn Aristäus durchzubrennen droht. Keiner von beiden ahnt, dass dieser „Porsche-Proll“ mit Goldkettchen und aufgeblondetem Haar eigentlich der Gott der Unterwelt Pluto auf Freiersfüßen ist. Der hat sich halt gedacht: „Quod licet Jovi, etiam licet Plutoni“. Auch die öffentliche Meinung, die für die Karriere der Künstler doch so wichtig ist, bekommt bei Quast ihren Auftritt, und zwar in Gestalt zweier Journalistinnen – eine dürr und eine dick -, die sich gegenseitig nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen und dies auch in direkter Quastscher Diktion kundtun, und zwar im aktuellen Gossenton. Sie bauen denn auch Orpheus gezielt zum Medienheld auf, der seine Frau unter Todesverachtung aus der Unterwelt zurückholt, obwohl er sie doch gerade dorthin wünscht.

Das berühmte Duett von Orpheus und Euridyke, das schon Offenbach bei Gluck freizügig „entlehnt“ hat, zelebriert Quast förmlich, wobei er als Euridyke ätherisch um seinen Stuhl tänzelt. Den Vorstadtcasanova Aristäus wieder charakterisiert er in dessen Arie als „faröhlichen Gesellen“ und mit einer Mimik und Gestik, die das schlichte Strickmuster dieser Figur treffend zum Ausdruck bringen. Das Leben der Götter im Olymp malt er mit wahrer Wonne und allen möglichen Stimmlagen aus. Da ist Jupiter als weisungsgewohnter Top-Manager, seine Frau Juno, die den ganzen Tag Pralinen mampft – eine „Juno-Figur“ halt -, von Jupiter nur „Mutti“ genannt wird und auf hessisch über die Untreue ihres Gatten greint; da ist der Liebesgott Cupido als jüngere Ausgabe von Udo Lindenberg, und da sind auch noch Venus – sie kommt gearde von einer Sause auf der Erde die Erdenleiter hoch – und Diana, die zu typischer Jagdmusik auftritt. Jeder der Götter und Göttinnen erhält sein karikierendes, heutigen Archetypen entlehntes Profil. Merkur, der Gott des Handels, kommt als dicklicher Aushilfssänger daher, der bei seinem Tanz wegen Konditionsmangels fast zusammenbricht und der ansonsten nicht der Hellste ist und sich mit stereotypen Redensarten durchs Götterleben schlängelt. Der erste Akt endet damit, dass Jupiter mit allen seinen Göttern in die Unterwelt zieht. Er, um angeblich nach Euridyke zu fahnden, die Pluto laut Merkur dorthin verschleppt hat, die anderen Götter, weil es ihnen im Olymp zu langweilig ist und sie wilde Dinge über die Orgien in der Unterwelt gehört haben.

Michael Quast nimmt den Beifall entgegen

Michael Quast nimmt den Beifall entgegen

Im zweiten Akt feiern die Götter ein wildes Fest in der Unterwelt, während Jupiter Pluto wegen Euridyke auf den Zahn fühlt. Der alkoholabhängige John Styx bewacht Euridyke in Plutos schwülstigem Boudoir und verliebt sich selbst ihn sie. In seiner Arie „Als ich einst Prinz war in Arkadien“ klagt er ihr sein Leid, dass er all sein Vermögenbei Lehman Brothers verloren habe und sich jetzt bei Pluto als Ein-Euro-Jobber verdingen musste. Als Jupiter mit Pluto naht, versteckt er Euridyke. Jupiter findet sie daher nicht, ahnt aber ihre Nähe. So verwandelt er sich heimlich in eine Fliege und bleibt in dem Boudoir, bis Euridyke aus ihrem Versteck kommt. Das anschließende Duett zwischen Euridyke und der Fliege – „Sssss Ssss ss sss ssss“ – ist eine der groteskesten Szenen dieses Abends. Aber Michael Quast kann noch einen drauflegen: zu den „Can Can“-Klängen vom Flügel lässt er in einem kleinen Puppentheater seine behandschuhten Finger einen frivolen Can Can hinlegen, der tatsächlich Assoziationen an Beine schwingende Tänzerinnen in erotischer Aufmachung weckt.

So geht denn das Stück gemäß der ursprünglichen Dramaturgie, aber mit leicht verschobenen Akzenten zu Ende. Die Damen der öffentlichen Meinung zwingen den unwilligen Orpheus, vor Pluto und Jupiter seine Frau zurückzuverlangen, und dabei singt Orpheus alias Michael Quast seinen Text in dem leiernden Tonfall eines pubertären Gymnasiasten beim Gedichtvortrag. Jupiter muss der öffentlichen Meinung Tribut zollen, um das „Corporate Image“ des Olymps nicht zu schädigen, doch beim Ausmarsch des hadernden Paares – Euridyke will lieber hier bleiben und Orpheus will sie los sein – sorgt Jupiter durch einen plötzlichen Blitz dafür, dass sich Orpheus erschrocken umdreht. Damit ist allen geholfen: Jupiter hat Euridyke, diese hat endlich einen standesgemäßen Liebhaber, Orpheus ist wieder frei und ledig, nur Pluto schaut in die Röhre.

Michael Quast präsentiert seine Operettenfassung zusammen mit Rhodri Britton mit allen komödiantischen Mitteln der Mimik und Gestik, wobei seine Grimassen bisweilen die Grenze zur Knallcharge verletzen. Doch das ist in dieser Inszenierung nicht schädlich, sondern geradezu förderlich, denn alles ist übertrieben und im höchsten Maße grotesk. Quasts Artikulation ist bei aller Grimassierung so klar, dass man die zahlreichen Pointen und Sottisen der Texte ausnahmslos mitbekommt. Diese Texte verlagern das Geschehen in heutige Milieus verschiedener „Couleur“, und Quast schafft es meisterlich, das jeweilige Milieu treffend zu karikieren. Darüber hinaus singt er nicht nur – und das durchaus gekonnt – sondern spielt auch die Geige, um zum Beispiel Euridykes Schmachten besser zum Ausdruck zu bringen. Dass er dabei falsche Töne einstreut, ist nicht mangelndem Können geschuldet sondern verstärkt gezielt die komische Wirkung. Natürlich waren diese „Katzentöne“ Rhodri Britton Anlass genug, mit der Geige davonzulaufen, als Quast beim Schlussapplaus Anstalten machte, eine Zugabe auf der Geige zu spielen…..

Das Publikum war an diesem warmen Sommerabend begeistert und spendete nicht nur kräftigen Szenenapplaus, sondern beendete auch bisweilen im Chor die Verse, die Quast auf der Bühne vortrug. Das war vielleicht nicht immer im Sinne des Künstlers, zeigte aber, wie intensiv das Publikum mitging.
Frank Raudszus

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