Detailfreude und viel Witz

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Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Le nozze die Figaro“ glänzt in Darmstadt vor allem durch die Spielfreude der Akteure.

Vor zwei Wochen haben wir an dieser Stelle die Inszenierung von Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ in Frankfurt berichtet. Daher erübrigt sich an dieser Stelle eine erneute Beschreibung der Handlung und der Entstehungsgeschichte. Die Gegenüberstellung der beiden Inszenierungen ist jedoch durchaus reizvoll, zeigt es doch unterschiedliche Pespektiven bei der zeitgleichen Inszenierung des identischen Stoffes durch zwei Bühnen.

Kihwan Sim (Figaro), Susanne Serfling (Susanna)

Kihwan Sim (Figaro), Susanne Serfling (Susanna)

Auch Wolfgang Quetes nutzt in Darmstadt bereits die Ouvertüre zu einem kleinen Bühnenvorspiel, jedoch wesentlich konkreter. In scherenschnittartigen gestellten Bildern zeigt er in jeweils sich öffnenden Ausschnitten des Vorhangs Szenen aus dem „Barbier von Sevilla“ – der als Oper allerdings erst dreißig Jahre nach Mozarts Werk auf die Bühne kam. Der Vorspann führt so auf spielerische Weise ins Thema ein und schafft bereits eine gewisse Rokokko-Atmosphäre.

Beim Bühnenbild hat sich Manfred Kaderk auf ein fast konventionelles Konzept abgestützt. Für jede Örtlichkeit der Handlung schafft er ein eigenes Ambiente, wobei er jedoch dem einmal gewählten Stilelement treu bleibt. Bis auf die abschließende Nachtszene schaut der Zuschauer stets in einen konisch sich nach hinten verjüngenden Raum mit Rokokko-Gemälden oder vergleichbaren Accessoires an den Wänden. Zeit und Lokalkolorit der Handlung – ein gräfliches Schloss – werden mit wenigen Strichen aber deutlich skizziert. Die unterschiedlichen Kulissen erscheinen nicht per Drehbühne im Vordergrund sondern bilden die statische Umgebung für die gesamte Szene. Das hat natürlich im Gegensatz zu der Frankfurter Inszenierung den Nachteil, dass größere Umbauten Zeit erfordern, die sich in künstlichen Pausen bei geschlossenem Vorhang niederschlägt. Diese „Generalpausen“ verschaffen dem Publikum einerseits einen Augenblick der Ruhe, unterbrechen jedoch andererseits den Fluss der Handlung und werfen die Zuschauer aus der Illusion der Fiktion zurück in die Realität des Theatersaales. Die Anpassung des Bühnenbildes erhöht andererseits die (fiktionale) Authentizität jeder Szene, weil die jeweilige Umgebung – Boudoir, Schlafzimmer – wesentlich realitätsnäher gestaltet werden kann. Dadurch gewinnen die einzelnen Szenen Leben und ein eigenes Profil, während das eher minimalistische Bühnenbild der Frankfurter bewusst auf das menschelnde Detail der Szene verzichtet und sich auf die Charakterisierung der Personen konzentriert.

Die einzelnen Szenen gestaltet Quetes ebenfalls wesentlich detailreicher. Während sich in Frankfurt viele kleinere Handlungselemente eher aus dem Libretto als aus der Logik oder der vorangehenden Handlung ergeben, folgt bei Quetes jede Geste und jede Reaktion der handelnden Personen zwangsläufig aus dem Gang der Handlung. Das führt letztlich dazu, dass die Darsteller wesentlich intensiver agieren müssen. Typisch ist dafür die Szene zwischen Susanna und Marcellina, die nach anfänglich – allerdings auch schon recht deftigen – verbalen Attacken zwischen den beiden Frauen darin endet, dass Susanna ihre Konkurrentin wahllos mit Wäschestücken aus ihrem Korb bewirft und sie damit buchstäblich aus dem Zimmer jagt. Der Slapstick-Effekt, der vielen Szenen innewohnt, ist offensichtlich gewollt und soll Mozarts bekanntlich deftigen Humor widerspiegeln. Angesichts des bewusst auf Verwechslung und Bloßstellung angelegten Librettos ist diese humoristische Zuspitzung folgerichtig. Die Frankfurter Inszenierung mit ihrer Betonung eher des Ironischen geht dagegen auf den für Mozart typischen Humor weniger ein.

Anja Vincken (Gräfin Almaviva), Erica Brookhyser (Cherubino)

Anja Vincken (Gräfin Almaviva), Erica Brookhyser (Cherubino)

Das gilt auch die Szenen mit Cherubino, der sich in Darmstadt eben nicht nur als Allegorie jugendlicher Spitzbübigkeit und (prä)erotischer Sehnsucht zeigt sondern als Halbwüchsiger, der in seiner Naivität auch gerne in Fettnäpfchen tritt. Während sein Auftreten im stets unpassenden Moment in Frankfurt eher als Symbol für das Unvorhergesehe und Unfertige der Jugend steht, ist es in Darmstadt die Unerfahrenheit und das mangelnde Fingerspitzengefühl der Jugend. So lässt Wolfgang Quetes seinen Cherubino die Gräfin in ihrem Boudoir auch derart bedrängen, dass es fast einem ungestümen Vergewaltigungsversuch gleichkommt. Bezeichnenderweise wehrt sich die halb unter ihm liegende Gräfin kaum gegen diesen Übergriff, und erst das Klopfen des Grafen trennt die beiden nur noch Zentimeter voneinander entfernten Köpfe in plötzlichem Erschrecken. Quetes erweitert hier das Libretto um die Libido der Gräfin, von der in anderen Inszenierungen nicht die Rede ist….

Auch die Chorszenen nehmen bei Quetes einen größeren Raum ein als in Frankfurt, was nur folgerichtig ist. Während in Frankfurt die Kernhandlung im Vordergrund steht und der Chor nur als Katalysator oder Lückenfüller der Handlung dient, behandelt Quetes die Volksszenen als konstituierenden Teil der Oper. Immer wieder erscheint das Volk in verschiedenen Konstellationen auf der Bühne und bildet sozusagen den Hintergrund und die „Hausmacht“ von Susanna und Figaro. Zwar huldigen die Bauernmädchen dem gräflichen Paar, doch in Wirklichkeit leiden sie unter derselben Unterdrückung wie Susanna und Figaro und stehen sozusagen als „Revolutionsreserve“ Gewehr bei Fuß. Dass Quetes diese Volksszenen nicht penetrant als tatsächliche Vorläufer der Revolution inszeniert, bedeutet nicht, dass der Protest nicht latent in ihnen vorhanden ist. Er versteckt ihn nur hinter folkloristischem Humor.

Die einzelnen Personen erhalten bei Quetes deutlich mehr realistisches Profil. Während zum Beispiel Dr. Bartolo und der Musiklehrer Basilio in Frankfurt noch deutlich karikaturistische Züge zeigen, sind sie in Darmstadt auf der Skala der Typisierung mehr in Richtung Realität verschoben. Auch hier ist Dr. Bartolo zwar ein schwadronierender Intrigant, jedoch mehr im Sinne eines halbseidenen Geschäftsmannes als eines exotischen Quacksalbers. Der bereits etwas angejahrte Don Basilio – in Frankfurt eine Kostümkarikatur – inszeniert sich hier als nonkonformistischer Künstler mit Leinenanzug, schütterem Haar und ausgezehrtem Pferdeschwanz, der sich vordergründig weltmännisch bei dem Grafen anbiedert. Die Hauptrollen sind in beiden Inszenierungen weitgehend identisch angelegt, da für sie als zentrale, die Handlung vorantreibende Personen eine geringere Interpretationsbandbreite besteht. Hier ergeben sich Unterschiede lediglich aus der persönlichen Interpretation durch die Darsteller.

Susanne Serfling (Susanna), Andreas Wagner (Basilio), Oleksandr Prytolyuk (Graf Almaviva),

Susanne Serfling (Susanna), Andreas Wagner (Basilio), Oleksandr Prytolyuk (Graf Almaviva),

Dreh- und Angelpunkt dieser Inszenierung sind die beiden Hauptdarsteller – Aki Hashimoto als Susanna und Kihwan Sim als Figaro. Dass ausgerechnet zwei Asiaten aus Japan und Korea die beiden Protagonisten dieser „erz-europäischen“ Oper darstellen, ist dramaturgisches Aperçu und Zeichen der Globalisierung gleichermaßen. Kihwan Sim kann man mit Fug und Recht als die Entdeckung der Saison bezeichnen. Nicht nur ist er stimmlich stets präsent und in allen Lagen souverän, sondern vor allem seine Darstellung beeindruckt durch eine außergewöhnliche Sicherheit und Spontaneität des Ausdrucks und ein ausgeprägtes Gespür für die humoristischen Effekte dieses Librettos. Er spielt nicht als Sänger eine Rolle, sondern er singt als begeisterter Schauspieler, und das hervorragend. Wenn er die Bühne betritt, beherrscht er sie. Aki Hashimoto, dem Darmstädter Publikum lange durch große und eindrucksvolle Rollen bekannt, spielt eine so anschmiegsame wie kämpferische Susanna. Ihre Zierlichkeit und Beweglichkeit prädestinieren sie für die Rolle einer jungen Frau, die ständig mit weiblichen Waffen um ihre Ehre und ihr Glück gegen die Übermacht der Männer kämpfen muss. In ihren Soloauftritten zeigt sie die Modulationsfähigkeit und die Ausrucksbreite ihrer Stimme auf beeindruckende Weise.

Anja Vincken war laut Vorabinformation der Regie an diesem Abend wegen einer Erkältung leicht indisponiert, spielte aber dennoch die Gräfin Almaviva. Doch bereits in der ersten Arie, in der die Gräfin den Verlust der Liebe ihres Gatten beklagt, vermisste man den Schmelz der Stimme, der erst das Leiden zum Ausdruck bringt. Anja Vincken sang diese Partie fehlerlos, doch ohne emotionelle Inspiration. Man hatte das Gefühl, dass sie ihrer Stimme an diesem Abend nicht traute und sich deswegen auf einen technisch fehlerfreien Vortrag konzentrierte. Folgerichtig blieb auch der Szenenapplaus aus, den Juanita Lascarro in Frankfurt für diese Arie erntete. Auch im weiteren Verlauf des Abends lieferte Anja Vincken zwar eine fehlerlose Partie ab, doch immer wieder war eine gewisse Angestrengtheit zu vernehmen, die sicherlich auf die gesundheitliche Situation zurückzuführen ist.

Susanne Serfling (Susanna), Kihwan Sim (Figaro), Chor, Oleksandr Prytolyuk (Graf Almaviva)

Susanne Serfling (Susanna), Kihwan Sim (Figaro), Chor, Oleksandr Prytolyuk (Graf Almaviva)

David Pichlmaier gibt einen Graf Almaviva, der im Vergleich zu seinem Frankfurter Pendant noch näher am wirklichen Leben und den Schwächen der Menschen (Männer) ist. Seine Wut angesichts der verschlossenen Tür des Boudoirs zeigt einen echten Choleriker, und das Beil in seiner Hand gibt zu den fürchterlichsten Vorstellungen Anlass. Nicht umsonst wirft Susanna alias Aki Hashimoto einen besorgten Blick auf dieses Instrument. Neben der Wut stellt David Pichlmaier auch den Triumph und die Häme des (vermeintlich) siegreichen „Alphatiers“ überzeugend dar. Er ist deutlich mehr Mann als Graf. Gesanglich überzeugt er mit klarer Präsenz, hat allerdings wegen der eindimensionalen Rolle keine Gelegenheit, die Variabilität seiner Stimme zu zeigen oder tiefe Emotionen auszudrücken. Erica Brookhyser gibt einen quirligen Cherubino, der aber, wie bereits erwähnt, auch bodenständigere Merkmale zeigt als das elfenartige Geschöpf in Frankfurt. Ihre beiden Arien, in denen sie die erotische Unruhe des halben Knaben inständig besingt, sind besonders intensive Momente dieser Inszenierung. Elisabeth Hornung spielt die Marcellina im Gegensatz zur Frankfurter Inszenierung als kampflustige Matrone, was angesichts der Tatsache, dass sie sich als Figaros Mutter entpuppt, auch glaubwürdiger ist. Thomas ist als Dr. Bartolo ausgesprochen präsent, ohne sich deswegen in den Vordergrund zu spielen. Er verleiht dieser Rolle nicht nur stimmliches Gewicht sondern auch eine gewisse Glaubwürdigkeit. Andreas Wager legt den Musiklehrer Basilio eher als ironische Karikatur zeitgenössischer Selbstinszenierungskünstler an und trifft mit seiner Darstellung dieses Typs ins Schwarze. Maria Victoria Jorge Hernándiz spielt die Barberina als schalkhaftes Mädchen aus dem Volk mit viel Mutterwitz.

Allen Darstellern ist gemeinsam, dass sie ihre Rollen mit viel Gespür für einen Humor entlang der menschlichen Schwächen auslegen. Ironie wird eher klein geschrieben, dafür der unmittelbare Situationswitz – bis hin zum Slapstick – in den Vordergrund gerückt. Doch dabei überzieht keiner der Darsteller hin zur Knallcharge, selbst Hans-Joachim Porcher als stets angetrunkener Gärnter Antonio liefert die teils dankbare teils gefährliche Rolle des Betrunkenen mit Witz und Augenmaß ab.

Das Orchester zeigt sich in dieser Inszenierung unter der Leitung von Martin Lukas Meister wieder einmal von der besten Seite. Sehr geschmeidig im musikalischen Ausdruck nimmt es den leichten, humoristischen Duktus der Handlung auf und vermeidet jegliche Schroffheiten. Schließllich geht es in dieser Inszenierung nicht darum, die Revolution (von 1789) vorzubereiten, sondern die Schwächen vor allem der Herrschenden auf witzige Weise zu entlarven. Besonders auffällig ist, wie genau die Musik den Aktionen auf der Bühne folgt, bis hin zur Akzentuierung der Handgriffe, wenn Susanna Cherubino die Stiefel auszieht.

Das Publikum zeigte sich begeistert und sparte nicht mit Bravo-Rufen für einzelne Akteure, vor allem aber für Kihwan Sim und Aki Hashimoto.

Frank Raudszus

 

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