Die neue Show „SMILE“ des Varietés „Da Capo“ spricht alle Sinne an

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Der Mann am Seil
Kraft, Körperkunst und Kulinarik  

Die neue Show „SMILE“ des Varietés „Da Capo“ spricht alle Sinne an
James Jungeli, der Inhaber und Leiter des „Da Capo“-Varietés, lässt sich jedes Jahr etwas Neues einfallen, um einerseits den Eindruck bloßer Routine zu vermeiden und um andererseits jedes Jahr das Interesse an seiner Show von Neuem zu wecken. Über Jahre stand die Darbietung akrobatischer, tänzerischer und schauspielerischer Leistungen im Vordergrund. Zwar spielte auch die kulinarische Komponente eine Rolle, denn schließlich wollen die Besucher auch durch Essen und Trinken bei Laune gehalten werden, aber wie Bob Dylan sagt: „The Times are A Changing“ und mit ihr der Lebensstil und die Ansprüche des Publikums. War früher bereits der Besuch eines Varietés Anlass genug für Euphorie und eine locker sitzende Brieftasche, so verlangen die Zuschauer heute ein „Gesamtkunstwerk“, das auch die leiblichen Ansprüche mehr als nur befriedigend erfüllt. Dazu mag kommen, dass die statistische Auswertung der Besucherstruktur einen Schwerpunkt bei Firmen ergeben hat, die gerade die „Da Capo“-Show  für ihre jährliche Weihnachtsfeier wählen. Und da Firmen bei diesem Anlass nun einmal – meistens – großzügiger sind als Familienväter mit dem entsprechendem Anhang, lag es auf der Hand, die Schwerpunkte der Veranstaltung merklich zu verschieben.

Die KraftmännerSo lautet der Werbespruch für das diesjährige Programm „SMILE“ denn auch „Das Dinner-Varieté von Morgen“, und die zugehörige Broschüre enthält nicht nur wie früher einen Verweis auf die jeweilige Catering-Firma, sondern eine individuelle Vorstellung von Sternekoch Thomas Macsyszyn und Küchenchef Vincenzo Neri sowie detaillierte Beschreibungen der beiden Menüs, die dem Leser das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Darüber hinaus hat James Jungeli auch die Anordnung im nagelneuen „Tipidrome Royale 6-Sterne“ geändert. Die Manege ist kleiner geworden und in die Mitte des kreisrunden Innenraums platziert. Die Gäste sitzen grundsätzlich alle an geräumigen Tischen, die bis dicht an die Manege heranreichen und für Tuchfühlung mit dem Geschehen auf der Bühne sorgen. Selbst bei ausverkauftem Haus entsteht nicht (mehr) der Eindruck eines bis an den Rand gefüllten Zirkuszeltes sondern der eines gepflegten Restaurants mit gehobener Speisekarte und entsprechendem Unterhaltungsprogramm. Jungeli setzt konsequent die Erkenntnis um, dass es bei einem Varieté nicht um ein künstlerisches Programm mit Ernst und Tiefsinn geht wie etwa im Theater – sondern um – hoffentlich erstklassige – Unterhaltung.
Der KomikerUnd diesen letzteren Anspruch löst James Jungeli mit „SMILE“ überzeugend ein. Die Abfolge der einzelnen Programmpunkte unterscheidet sich nicht von der Choreographie in den Vorjahren, doch die dahinter stehende Idee zeigt einige Veränderungen. Wie immer sorgt eine Truppe von fünf körperlich bestens gestalteten Tänzerinnen für die Szenenübergänge. Jeder Auftritt erfolgt mit neuen Kostümen, eins farbenprächtiger als das andere, und die jungen Damen werfen ihr Lächeln und ihre Blicke freigebig ins (männliche) Publikum. Ja, wenn man daran glauben könnte, dass einem dieses Lächeln persönlich gilt…..
Die Detailfreude bei der Beschreibung erstreckt sich leider nicht auf die Show selbst, denn weder der Flyer noch die Presseunterlagen noch die Webseite enthalten – im Gegensatz zu früheren Jahren! – Informationen über die Künstler. So müssen wir uns in diesem Bericht auf die Schilderung unserer Eindrücke beschränken, ohne „Ross und Reiter“ nennen zu können.

Die farbenprächtig erotisierenden Auftritte der jungen Damen begleitet ein gesetzter Herr mit stattlicher Figur, der dazu verschiedene  bekannte Songs im sonoren Tonfall eines Frank Sinatra vorträgt. Diese beiden Komponenten sorgen sowohl für eine optische und mentale Trennung der unterschiedlichen, intensiven Darbietungen und verknüpfen sie gleichzeitig. Auch diese Strategie scheint in diesem Jahr konsequenter eingehalten zu werden als in Vorjahren. Die Zuschauer können sich während des jeweiligen Zwischenspiels nicht nur daran erfreuen sondern sich vor allem von der Anspannung der vorigen Nummer lösen und auf die nächste vorbereiten.
Das eigentliche Showprogramm lebt dann wieder einmal von Höhepunkten. Das Los aller Varietés ist nun einmal, dass man den Zuschauern laufend Steigerungen anbieten muss. Das Publikum – also wir – ist ein gefräßiges Monster, das sich schnell an einen gewissen Standard gewöhnt und dann stets mehr und Besseres verlangt. Nun weist der menschliche Körper jedoch physische Grenzen auf, die man nicht oder nur schwer überschreitet. Diese Erkenntnis scheint jedoch angesichts der Leistungen in dieser Show – und anderen – widerlegt zu sein. Es ist schier unglaublich, was einzelne Akrobaten an Leistungen vollbringen. Ob das nun der einarmige eines anderen Athleten oder die waagerechte Luftlage am Seil ist: alleine beim Betrachten dieser Nummern krampfen sich beim Zuschauer die entsprechenden Muskeln zusammen, da man sich diese Übung am eigenen Körper vorstellt.
Bei diesen Spitzenleistungen fällt keins der in „SMILE“ auftretenden Teams ab. Alle zeigen eine Fülle von außergewöhnlichen Kraft- und Konzentrationsleistungen, von der Körperbeherrschung ganz zu schweigen. Der junge Akrobat am Seil strotzt geradezu vor Kraft und legt immer noch ein Schwierigkeitsgrad zu, so beim freihändigen Spagat in den beiden Seilen fünf Meter über dem Boden. Das Akrobatenpaar – ein kräftiger Mann und eine bildhübsche junge Frau – zeigen waghalsige Übungen ebenfalls in einiger Höhe über der Bühne, wobei der Mann die Frau in Spiralen um seinen Körper wirbeln lässt, um nur einen Eindruck zu schildern.
Der Brettspringer zeigt seine Künste auf einem federnden Brett von etwa fünf Metern Länge, das seine beiden Mitstreiter schultern und das ihn einige Meter hoch schleudert, wo er verschiedene Figuren und am Schluss einen „dreifachen Salto Mortale“ zeigt, um dann jedes Mal wieder mit den Füßen sicher auf dem schmalen Brett zu landen.
Ein „Kraft-Duo“ aus zwei Artisten zeigt entsprechende Hebefiguren und Körperlagen, die man nur mit stahlharten Bauch- und Rückenmuskeln und eisernem Training bewältigen kann. Selbst dann liegen sie für den Normalmenschen noch weit jenseits des Vorstellbaren.
Das Schicksal aller Spitzenartisten ist es, dass die Zuschauer heute alles ohne Euphorie routiniert beklatschen. Das liegt nicht an bösem Wille oder Hochmut, sondern an der Verwöhnung durch Film, Fernsehen und Internet, die uns täglich aus aller Welt artistische Höchstleistungen präsentieren. Wir nehmen das mittlerweile fast als selbstverständlich hin und sind schon erstaunt, wenn so eine schwierige Nummer einmal nicht auf Anhieb klappt – was auch hier einige Male geschah. Diese Momente allerdings lassen die Artisten menschlich erscheinen. Auch sie sind keine Roboter, die selbst die schwierigsten Übungen routiniert und perfekt abwickeln.
Als Gegenstück zur Hochleistungsartistik bietet jedes Varieté Fingerfertigkeitsübungen und Humor an. Dazu gehört bei SMILE unter anderm der Jongleur, der verschiedene Gegenstände bis hin zu meterlangen Stäben nicht nur buchstäblich „auf des Messers Schneide“ balanciert, sondern von dort auch hochwirft und wieder auffängt. Das hat zwar nichts mit Kraft, aber mit höchster Konzentration und Koordination zu tun und gehört damit im Grunde genommen zur Akrobatik. Die Originalität dieses Programms verleiht ihm aber auch ein Stück weit humoristischen Charakter.

Handstand auf dem KopfDer Humor kommt dann bei zwei Künstlern in verschiedenen Ausprägungen zum Tragen. Der Bauchredner unterhält sich erst mit seinem Affen, den er im Arm hält und der recht aufmüpfig und den Damen am Bühnenrand gegenüber frech ist. Dabei lassen sich dem Gesicht des Bauchredner keinerlei Anzeichen seiner Stimme entnehmen, so dass die Täuschung perfekt ist und der lebendig bewegte Plüschaffe tatsächlich zu sprechen scheint. Danach zeigt der Künstler seine Fähigkeiten an zwei Gästen aus dem Publikum, zu deren Mundbewegungen er die abenteuerlichsten Texte kreiert.
Der „running gag“ des Abends ist jedoch der Komiker, der hier jedoch nicht als Clown mit Pappnase sondern als schottischer Jongleur und Aushilfskünstler daherkommt, der angeblich wegen Erkrankung des eigentlichen Künstlers kurzfristig engagiert wurde. Tapsig, ständig laut lachend und mit einem Korb von Kalauern betritt er die Bühne, um von diesem Moment an nur noch Unsinn von sich zu geben. Doch präsentiert er diesen Unsinn so meisterlich, dass er zur echten Komik avanciert. Ein guter Komiker muss schließlich nicht vor Geist sprühen, er muss die Leute zum spontanen Lachen bringen. Das tut dieser angebliche Jongleur ausgiebig. Natürlich jongliert er auch und zeigt dabei banale Kunststücke, die seine Unfähigkeit demonstrieren sollen. Wenn er sich dann ganz in diese Jonglage-Kalauer vertieft, kommen auf einmal wie aus Versehen echte Fertigkeiten zum Vorschein. Dieser Schotte spielt permanent mit der Komik des Scheiterns und der Unfähigkeit. Seine Kunst besteht darin, die Hilflosigkeit eines untalentierten Künstlers zur echten Komik umzugestalten, die den Zuschauern die Lachtränen ins Gesicht treiben. Es wäre sinnlos, hier weitere Beispiele seiner Imitation des Untalents aufzuführen, dafür sind es zu viele. Er sprüht geradezu vor handfestem, sinnfreiem Witz.
James Jungelis „Da Capo“ hat sich wieder einmal neu erfunden und schafft es, das Publikum wieder einmal zu überraschen. Es kommt nicht von ungefähr, dass dieses Varieté schon seit über einem Jahrzehnt zur festen Einrichtung der Darmstädter Vorweihnachtszeit geworden ist.

Frank Raudszus
 

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