Das Barock Orchester Berlin unter Leitung von Dirigent Bevier entführt die Zuhörer in eine laue Sommernacht des barocken Venedig

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Antonio Vivaldi (Quelle: Wikipedia)
Molekulare Klänge aus Vivaldis Werken in der beeindruckenden Philharmonie     

Das Barock Orchester Berlin unter Leitung von Dirigent Bevier entführt die Zuhörer in eine laue Sommernacht des barocken Venedig
Zuerst einmal beeindrucken immer aufs Neue die Räumlichkeiten der Berliner Philharmoniker. Selbst wenn an diesem Abend in den kleineren Kammermusiksaal geladen wird, befindet man sich in einem weitläufigen Atrium, das über mehrere Etagen am Rand kreisförmig in die Höhe steigt. Dann begreift man die Architektur, denn hier hängt der Aufführungssaal wie eine überdimensionierte Wabe mitten im Gebäude. Wie Bienen strömen die Gäste schließlich von allen Seiten und Höhen in den Saal und umschließen die winzige Bühne von allen Seiten. Ein einzigartiges Raumkonzept, welches bis in das filigranste Detail auf ein besonderes Hörerlebnis ausgerichtet ist. An jeder Wand und Säule sowie der Deckenkonstruktion befinden sich rautenförmige Plastiken, die den Klang einfangen und wieder weich in den Saal zurückgeben.

Das Barock Orchester Berlin betritt unter herzlichem Applaus den Saal. Das Ensemble aus Streichern erscheint in dunkler Abendkleidung, die Damen geradezu in Ballkleidern. Man nimmt Platz und stimmt. Nach kurzer Zeit tritt auch Stefan Bevier hinein und freut sich sichtlich auf den bevorstehenden Abend. Bevier selbst studierte zunächst Gesang und Kontrabass an der Hochschule der Künste in Berlin. Heute wirkt er als Dirigent bei zahlreichen internationalen Chören und Orchestern und leitet das 1997 gegründete Barock Orchester Berlin. Dies ist ein internationales Ensemble aus jungen und sehr talentierten Musikern, die – so sagt man – alle auf wertvollen alten „Italienern“ spielen, was den herausragenden Klang hervorzaubert.

Die Musikauswahl zur „Italienischen Nacht“ geht nicht ausschließlich auf Vivaldi und seine wohl bekannteste Komposition zurück. In der ersten Konzerthälfte werden auch Concerti von Tomaso Albinoni (1671 – 1750) dargeboten. Es heißt, Albinoni sei im Vergleich zu seinem virtuosen, romantisch verträumten Zeitgenossen Vivaldi durch eine ausgeglichene Klassizität und Ruhe gekennzeichnet. In den hier präsentierten Stücken bestätigt sich ebenfalls, dass Albinonis Soloparts etwas leichter von der Hand gehen als die seines charakterstarken Landmannes Vivaldi. Gerade dessen Vier Jahreszeiten sind nahezu ein kontinuierliches Solo, welches unumgänglich einen Geiger auf Weltklasseniveau bedingt.     
 
Antonio Vivaldi (1678 – 1741) bildet mit seiner musikalischen Vielfalt das Fundament des Abends. Der Auftakt geschieht mit Alla Rustika in den Tempi Allegro, Adagio und wieder Allegro. Es folgen darauf die Sinfonien Nr. 1 und Nr. 3 gleichfalls in einer gestreuten Tempivielfalt von Allegro über Andante bis zu einem kräftigen Presto am Schluss. Neben der fraglosen Exzellenz des Ensembles begeistert vor allem auch die Empathie, mit der sich Bevier der Musik hingibt. Erlebt man als Zuhörer einen Dirigenten für gewöhnlich nur von hinten, ist es ein einzigartiges Erlebnis, nun den Maestro erstmals aus der Perspektive der Musiker zu erleben. Nahezu – müsste man als Einschränkung auf die Perspektive selbstredend hinzufügen. Mit großen Gesten streichen seine Arme und Hände durch die Luft, so dass es teils an einen Künstler vor großer weißer Leinwand erinnert, der mit kräftigen Farben Linien und Formen zieht. Und dieses Bild passt auch zur Musik – der Klang sind die Farben, Dynamik und Tempi sind der Schwung und gleiten von den Gesten des Dirigenten in das Spiel der Musiker. 
          
Es folgt Vivaldis Sinfonia „al Santo Sepolcro“ in den Tempi Adagio molto und Allegro ma poco. Diese beeindruckt durch ihre ganz besondere Klangfärbung, hervorgerufen mittels der spielerischen Umsetzung, dass kaum herkömmlich gestrichen wird, sondern das Ensemble entweder mit den Fingern zupft oder die Fäden des Bogens die Seiten der „Italiener“ nur touchieren. Hierdurch entsteht ein Eindruck, der als molekulare Musik bezeichnet werden könnte. Eine unglaubliche Präzision im Detail und der Synchronität unter den Musikern schafft in dem akustisch auf höchstem Weltklassenniveau ausgebauten Kammermusiksaal der Philharmonie ein einmaliges Klangerlebnis.

Den Abschluss vor der Pause bilden das Concerto grosso in C und Concerto grosso in F-Dur von Tomaso Albinoni. Allerdings erscheint der Kontrast zur bisherigen Auswahl von Vivaldi nicht wie erwähnt ausgeprägt. Wie die vorigen Stücke bewegen sich die Tempi über ein ruhiges Adagio bis ins zügige Allegro assai. Somit zeigt sich die gesamte erste Hälfte der Italienischen Nacht als musikalisch ausgewogen und mit außergewöhnlich hohem musikalischem Anspruch. Dies verdeutlicht sich, wie erwähnt, in der Hingabe von Bevier, der offensichtlich sein gesamtes Potenzial ausschöpft, sich mit der Musik zu vereinen und ihr seine Gefühle mitzugeben, so dass der gewünschte Ausdruck entsteht.

Nach der Pause kommt es zum eigentlichen Highlight des Abends – Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Solist an der Geige ist Wiktor Kuzniecow sen., der bereits seit dem vierten Lebensjahr sein Instrument erlernt und sein Studium in Kiew 1987 mit Auszeichnung abschloss. Heute ist er selbst ein beliebter Dozent u.a. an der Wroclaw Music Academy. Bereits seit 13 Jahren sind Kuzniecow und Bevier musikalisch eng verbunden.

Schließt man als Zuhörer die Augen, so vereinnahmen einen die aus dem Zentrum des Saals empor steigenden virtuosen Klänge der Jahreszeiten sehr schnell. Nun präsentiert sich Vivaldi wirklich sehr anders also zuvor – es ist eine Komposition, die sehr viel sein möchte und deshalb besonders intensiv ist. Aufgeladene Dynamik, fliegende Tempiwechsel, rasante Cresendi, und nichts ist beständiger als der Wandel entlang aller musikalischer Dimensionen. Vielleicht ist die Kehrseite dieser auskomponierten Intensität, dass Dirigent und Musiker weniger Möglichkeiten entdecken, ihr eigenes Herzblut in der Komposition erkenntlich zu machen? Jedenfalls sieht man bei geöffneten Augen einen deutlich ruhigeren Bevier, der scheinbar ein wenig Distanz von der Musik nimmt, vergleicht man es mit der Hingabe der ersten Konzerthälfte.

Neben der fraglosen künstlerischen Exzellenz Kuzniecows kommt eine Idee von „Erst das Vergnügen, dann die Arbeit“ auf. Die Begeisterung, das Schweben in der Musik, der Tanz des Dirigenten – all dies erscheint eine Spur weniger. Aber Vivaldis Vier Jahreszeiten sind nun einmal der bekannte Klassiker, weshalb die Gäste an diesem Abend in die Philharmonie geströmt sind. Und sie sind begeistert! Sicherlich ist dieses Werk Vivaldis ein Einstieg in die Klassik und spricht ein wesentlich breiteres Publikum als andere Symphoniekonzerte an. Es ist schön zu sehen, dass Bevier für seine zweite Zugabe wieder ein weniger bekanntes Stück zu Tage fördert, das an die ruhige Klassik der ersten Konzerthälfte erinnert. Bevier ist wieder in seinem Element und verschmilzt mit der Musik. Ein herausragender Musiker ist eben ein begeisterungsfähiger Künstler und nicht ein geschickter Ökonom – schön, dass an diesem Abend das Weltbekannte mit dem ganz Künstlerischen zusammentreffen konnte.

Malte Raudszus
 

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