Tempo, Witz und schöne Stimmen

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Das „Teatro Regio  Torino“ gastiert bei den Wiesbadener Maifestspielen mit Donizettis „L´Elisir d´amore“ (Der Liebestrank).

Ensemble

Ensemble

Bei der Oper stehen die Stimmen und die hohen Gefühle im Mittelpunkt, während die Logik des Librettos oft zu wünschen übrig lässt. Das gilt bekanntlich in besonderem Maße für Gaetano Donizettis Oper „Der Liebestrank“. Wir wollen die Handlung hier nicht detailliert beschreiben, da sie weder durch Logik noch durch tief greifende Konflikte glänzt, und verweisen auf die Rezension der Darmstädter Inszenierung vom September 2013, die den einzelnen Handlungssträngen nachgeht.

Fabio Spavoli hat bei seiner Inszenierung konsequent auf die Unterhaltung gesetzt. Da politische oder gesellschaftliche Kritik bei diesem Libretto nur mit großen Mühen und Verbiegungen unterzubringen sind, verzichtet er von Beginn an darauf und belässt die Handlung auch irgendwo im 19. Jahrhundert. Selbst die Soldaten, die immer für eine Militärsatire gut sind, lässt er als „Bürger in Uniform“ antreten, ganz ohne satirische Betonung des Militärischen. Saverio Santoliquidos Bühnenbild kann man – ohne Polemik – konventionell nennen. Man sieht ein italienisches Dorf mit einem ockerfarbenen Haus, dahinter eine leicht ansteigende Fläche, die man auch als fernen Horizont deuten kann. Dahinter erhebt sich das satte Blau des italienischen Himmels, will sagen: der Bühnenrückwand. In diesem Ambiente lässt Claudio Fenoglio seinen bunt gekleideten Chor – die Dorfbevölkerung – auftreten, der auch gleich für temperamentvolle Unterhaltung sorgt.

Die vier Protagonisten – Adina, Nemorino, Dulcamara und Belcore – treten dann auch recht bald auf und sorgen für einen abwechslungsreichen und durchaus witzigen Ablauf des Geschehens. Dabei verfügt Fabio Sparvoli über hervorragende Sänger und Darsteller. Olga Peretyatko ist eine launenhafte junge Adina, die genau um ihre Wirkung auf Männer weiß und das auch an Nemorino durchexerziert. Ihr fehlt jedoch jegliche charakterliche Tiefe oder Komplexität, was letztlich die Konflikte auf Alltagsniveau hält. Olga Peretyatko kann daher außer durch eine gewisse Spritzigkeit des Auftritts nur durch ihre Stimme überzeugen. Das tut sie dann aber auch überzeugend. Mit einer bestechenden Leichtigkeit präsentiert sie die Koloraturen im Duett mit Nemorino und zeigt auch bei den Höhen keinerlei Schwierigkeiten. Ihre biegsame und fast mädchenhafte Stimme spiegelt das leichtlebige Wesen der Adina auf kongeniale Weise.

Der Chor (Frauen des Dorfes)

Der Chor (Frauen des Dorfes)

Ihr zur Seite agiert Dmitrij Korchak als ein liebenswerter, jungenhafter Nemorino. Seine jugendliche Naivität lässt erahnen, warum sich Adina lange Zeit nichts aus ihm macht und ihn nach allen Regeln der weiblichen Kunst abblitzen lässt. Auch Nemorino macht in dieser Oper keine charakterliche Entwicklung durch, und deshalb kann sich Korchak auf den jugendlichen Charme dieser Figur beschränken. Mit seiner Stimme zeigt er dann seine wahre Stärke: ein glasklarer, müheloser Tenor, die aber dennoch genug Wäme ausstrahlt, um den jugendliche Verliebten glaubhaft werden zu lassen. Für die berühmte Arie „Una furtiva lagrima“ erhielt er begeisterten Szenenapplaus, und das nicht nur, weil diese Arie halt so bekannt und so schön ist.

Der Sergeant Belcore ist ein weiterer Träger der Handlung und bei Roberto de Candia in guten Händen. Die Inszenierung betont nicht den militärischen Aspekt dieser Figur, sondern lässt ihn ganz als eitlen Mann auftreten, der sich seines Erfolgs bei Frauen sehr sicher ist und das bei jeder Gelegenheit zum Besten gibt. Das liefert natürlich immer wieder Anlass zum Lachen, zumal die satirische Darstellung allgemeiner menschlicher Schwächen grundsätzlich publikumswirksamer als gesellschaftliche Kritik ist. Allerdings wäre es angesichts des Librettos auch weit hergeholt, an dieser Figur eine Kritik des Militärs festzumachen. Und so darf Belcore alias Roberto de Candia  mit seinem raumfüllenden Bariton die Bühne, seine Soldaten und seinen armen Rivalen Nemirono beherrschen, bis ihm am Schluss der „deus ex machina“ des Librettos den schon sicher geglaubten erotischen Gewinn aus der Tasche zieht. Was soll´s? Es gibt ja so viele andere Mädchen, lautet die Antwort dieses gar nicht so unsympathischen Lebenskünstlers, dem Roberto de Candia urwüchsiges Leben einhaucht.

Dr Dulcamara (Mitte) mit Assistent (l.)

Dr Dulcamara (Mitte) mit Assistent (l.) und Nemorino (r.)

Bleibt noch der verschlagene und geschäftstüchtige Doktor Dulcamara zu nennen, der mit einem uralten FIAT-Zweisitzer aus den frühen fünfziger Jahren und einem koboldhaften Assistenten in das Dorf Einzug hält, die Dorfbevölkerung mit seinen fragwürdigen Tinkturen über den Tisch zieht und in Nemorino ein leichtes Opfer findet, dem man sogar einen simplen Rotwein als Liebestrank verkaufen kann. Der Bariton Paolo Bordogna macht aus dieser Figur einen Tausendsassa des Straßengeschäfts, der jede noch so kleine Geschäftschance wittert und seine Gegenüber nach allen Regeln der Verkaufskunst einwickelt. Selbst die blödsinnigsten Lügen kommen ihm mit einem so breiten Lachen und einem solch unverwüstlichen Charme über die Lippen, dass seine Kunden wie benommen bei ihm kaufen, vor allem natürlich ein Naivling wie Nemorino. Über weite Strecken beherrscht Bordogna mit seinen raumgreifenden Schritten, seiner präsenten Stimme und seinem darstellerischen Temperament die Bühne. Diese Rolle scheint ihm geradezu auf den Leib geschrieben zu sein, so sehr geht er in den aberwitzigen Wendungen ihrer Verkaufsrhetorik auf.

Regie, Chor und Ensemble scheinen sich verschworen zu haben, mit dieser Inszenierung den puren Spaß an der Situationskomik zu kreieren, fernab aller tiefschürfenden Aussagen und kritischen Interpretationen eines Librettos, das dafür sowieso keine Handhabe bietet. Das Orchester unter der Leitung des jungen Andrea Battistoni schließt sich dieser Auffassung an und liefert einen leichten, federnden und doch sehr exakten Klangkörper zu dem Bühnenspiel. Der Chor glänzt durch Beweglichkeit, viele darstellerische Details und sängerische Präsenz.

Sicher ist diese Inszenierung kein Fundgrube für ausgefallene Interpretatiionsansätze oder gar für eine völlig neue Sicht des Stoffes, aber sie bietet reichlich temperamentvolle Musik, viel Witz und vor allem beeindruckende stimmliche Leistungen.

Frank Raudszus

 

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