Eine multimediale Klage gegen den Krieg

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In den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt gastiert das Rohtheater aus München mit der Produktion „Die beste aller möglichen Welten“.

Unter Theater versteht man – im Gegensatz etwa zum Kino – die Vermittlung allgemein menschlicher Themen und Konflikte durch schauspielernde Menschen. Zwar haben sich multimediale Zusätze wie Videos in den letzten zehn Jahren auch im Theater etabliert – und sind teilweise wieder rückläufig -, doch das darstellerische Element überwiegt im Theater. Mit dieser Konvention bricht das Münchner „Rohtheater“, indem es den Schwerpunkt auf die elektronischen Medien legt und dem lebenden Schauspieler nur noch eine Randexistenz zubilligt. Der Ton- und Bildtechniker dominiert das Geschehen auf der Bühne.

Jana Zöll als galaktische Kämpferin

Jana Zöll als galaktische Kämpferin

Das gilt jedenfalls für die Inszenierung über „Die beste aller möglichen Welten“. Zu Beginn begrüßt den Zuschauer ein Bühnenbild aus kalten, weißen Bergreliefs, wie es sie auf einem unwirtlichen Planeten geben mag. Über diese Reliefs – und auf einer rückwärtigen Leinwand – laufen Videos kalter, abweisender Landschaften und rollender Meereswellen ab. Dann fährt Jana Zöll, Mitglied des Darmstädter Ensembles, auf die Bühne und beginnt aus dem Bühnenrückraum einen Monolog über die Kriege dieser Welt. In einem bewusst monotonen Tonfall referiert sie, wer wen seit Anbeginn der Menschheit besiegt hat. Diese Auflistung soll in ihrer kalkulierten Nüchternheit die Sinnlosigkeit aber vor allem die unvermeidbare Omnipräsenz des Krieges zum Ausdruck bringen. Dahinter steckt die Überzeugung, dass der Mensch in dieser Hinsicht unbelehrbar ist und bleiben wird. Im Wechsel mit Jana Zöll erzählt Samuel Koch, der zweite Sprecher – um den Begriff „Darsteller“ hier bewusst zu vermeiden -, die Rahmenhandlung, bei der es um einen galaktischen Krieg zwischen dem 24. und 26. Jahrhundert geht. Hier ist viel von fremden Sonnensystemen und Planeten sowie von „Schwarzen Löchern“ und vor allem von „Aliens“ die Rede. Doch auch hier geht es nicht um einen bestimmten Konflikt, der auf irgendeine Weise zu lösen ist, sondern nur um den immer gleichen Ablauf von Kriegen, der natürlich im Töten besteht. Auch der Zustand der Welt um die Mitte des dritten Jahrtausends kommt zur Sprache – Überbevölkerung, Hunger, Unterdrückung und Auswanderung in die Galaxis.

Samuel Koch als ihr männlicher Kamerad

Samuel Koch als ihr männlicher Kamerad

Nachdem zu Beginn, während der Verlesung der Kriegsgeschichte, Videos von zerbombten Städten – wahrscheinlich Syrien – über die Bergreliefs und die Leinwand geflimmert sind, folgen später Videos, die „live“ von einer Spielzeug-Kulisse auf einem mitten auf der Bühne platzierten Tisch aufgenommen werden. Man fühlt sich hier wie in einem Spielzeugladen, der ganze Städte und Landschaften mit kleinen Plastikmenschen bestückt. Viele dieser Spielfiguren sind dabei schwarz gekleidete Soldaten, und bei diesen Städten handelt es sich offensichtlich um die Erde um die Mitte dieses Jahrtausends. Die Transparenz dieser Kulisse trägt allerdings zu einer unfreiwilligen Ironisierung des Ganzen bei, da der Blick der Zuschauer irgendwann von der Leinwand zu dem Kameramann hinüber wandert, der mit seiner Kamera tief in die Spielzeugwelt des Kulissentisches hineintaucht. Die Betroffenheit nimmt dann in genau dem Maße ab wie eine gewisse Erheiterung über diese einer elektrischen Eisenbahn gleichenden Konfiguration zunimmt. Das Abstrahieren von der Entstehung des multimedialen Bühnenbild fällt halt nicht immer leicht.

Video der "Spielzeugwelt" und die beiden Darsteller

Video der „Spielzeugwelt“ und die beiden Darsteller

Nach etwa einer halben Stunde ist im Grunde genommen alles gesagt und die Aussage des Stückes auch dem letzten Zuschauer klar. Der bewusste Verzicht auf eine spannungs- oder zumindest konfliktgeladene Geschichte führt dann zu Längen, die auch wechselnde Videos nicht vermeiden können. Um diese Längen zu kompensieren, werden die verbalen Anklagen gegen eine im tiefsten Wesen kriegslüsterne Menschheit drängender. Nun ist der Kampf gegen den Krieg auch und vor allem im Theater keine neue Erfindung. Seit der „Erfindung“ des Theaters wird das Grauen des Krieges in allen Schattierungen beklagt und beschworen, mal mit Pathos, mal mit Nüchternheit. Das „Rohtheater“ versucht es mit lakonischer Sachlichkeit und hofft dabei auf die Wirkung des Kontrastes. Allerdings ist auch diese Technik schon etliche Male erprobt worden, so dass nur noch ein latentes Pathos als Lösung bleibt. Dieses Antikriegs-„Pathos“ drückt sich einerseits in wiederkehrenden Kriegsvideos und -fotos, andererseits in den insistierenden und nur pseudo-nüchternen Berichten aus. Logische Konsequenz ist, dass am Ende die Apokalypse an die Wand gemalt wird, zwar nicht in Form einer konkreten (Nuklear-)Katastrophe, sondern als Folge ungesteuerte Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Habgier und Machtstreben.

Bei allem gut gemeinten Engagement der Theatermacher ist allerdings zu kritisieren, dass dieses Stück zu sehr auf die moralische Wirkung des antikriegerischen Impetus sowie auf eine Flut stehender und bewegter Bilder zu diesem Thema vertraut. Eine Geschichte wird nur in Ansätzen erzählt, Gründe für einen Krieg werden nicht – dialektisch – ausgearbeitet und an Hand eines paradigmatischen Konflikts verhandelt, sondern nur die Folgen und Randerscheinungen kriegerischer Auseinandersetzungen präsentiert. Man hat generell den Eindruck, dass die Truppe des „Rohtheater“ ein wenig technik- und videoverliebt ist und Theater hauptsächlich als ein multimediales Event betrachtet. Ausgesprochen positiv ist jedoch die Musik zu bewerten, die nicht vom Band kommt, sondern von einem Pianisten „live“ intoniert wird und durchaus zur Konzeption dieser Inszenierung passt.

Freundlicher Beifall des Publikums für alle Beteiligten.

Frank Raudszus

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