Jean-Paul Didierlaurent: „Die Sehnsucht des Vorlesers“

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Eine etwas vordergründige Hommage an die Literatur.

Jean-Paul Didierlaurent ist ein neuer Stern – vielleicht auch nur ein Komet – am französischen Literaturhimmel. Kein in der Wolle gefärbter Romancier, der schon früh seine Berufung als Schriftsteller sah, sondern ein ganz normaler Angestellter, der „nebenher“ schreibt. Diese Quereinsteiger-Rolle übernimmt er mit ironischer Zuspitzung auch in sein Romandebut „Die Sehnsucht des Vorlesers“.

1603_vorleserIm Mittelpunkt dieses Romans steht ein Angesteller einer Papierfirma, der die Aufgabe hat, eine bildhaft „Zerstör“ genannte Anlage zum Recyclen von Büchern zu überwachen. Täglich werden per LKW tonnenweise ausgemusterte Bücher angeliefert und der Maschine in den gefräßigen Schlund geworfen. Gilain Vignol, scherzhaft und verletzend auch „Vilain Guignol (Dummer Kasper)“ genannt, ist ein schüchterner Junggeselle in den Dreißigern, der in einem kleinen Zimmer mit einem Goldfisch zusammenlebt und seine Arbeit als Büchervernichter hasst. Er ist durchaus kein feinsinniger Literat – sonst hätte er wohl einen anderen Job -, doch auf seine ganz besondere Weise liebt er die Bücher, die er jeden Tag vernichten muss. Und so greift er sich trotz der Argusaugen seines Chef nach jeder täglichen Abendreinigung der Maschine ein paar im Räderwerk hängen gebliebene Blätter aus irgendwelchen Büchern und nimmt sie mit nach Hause. Am nächsten Morgen liest er diese unzusammenhängenden Einzelseiten in der Metro zur Arbeit laut vor, und die morgendlichen Pendler haben ihn deswegen schätzen und lieben gelernt.

Der ehemalige Kollege und jetzt guter Freund Giuseppe hat bei der Abendreinigung aufgrund eines unvermuteten Anlaufs der Maschine beide Beine verloren und sucht diese seit Jahren in den Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Aus den geschredderten Büchern wird ein Brei für die Produktion neuen Papiers hergestellt, und Giuseppe hat genau recherchiert, welche Verlage den Brei des Unglückstages aufgekauft und für welche Buchausgaben verwendet haben. Diese Bücher versucht er jetzt alle aufzukaufen, um seine Beine, die ja in diesen Büchern stecken müssen, wiederzubekommen. Die Metaphorik der gesamten Konstruktion ist überdeutlich und damit etwas platt: unsere Konsumkultur schreddert mit ihrem gnadenlosen Räderwerk täglich die wahre Bildung und amputiert dadurch letztlich auch den Menschen. Dieser kann nur durch Bücher überleben.

So weit so gut, zumal auch noch ein Wachmann eine Rolle spielt, der seinen Lebenstraum einer Schauspielerkarriere nicht verwirklichen konnte und von morgens bis abends Reime berühmter Dichter sowie der eigenen Produktion rezitiert. Doch dann verschraubt sich der Handlungsstrang ein wenig. Eines Tages bitten zwei ältere Damen Vilain nach der Metro-Lesung, bei ihnen im Altersheim vorzulesen. Das tut Vilain auch mit durchaus beachtenswertem Erfolg und verschafft dort sogar seinem deklamierenden Kollegen einen großen Auftritt. Doch bleibt diese Episode in dem Roman eine dramaturgische Sackgasse, die mit der restlichen Handlung nicht viel zu tun hat und denn auch ohne besondere Pointe versandet.

Im Mittelpunklt steht eine ganz normale Liebesgeschichte, die sich anfangs überhaupt nicht angebahnt hat und deshalb ein wenig mühsam wirkt. Man hat das Gefühl, dass ein Lektor dem Autor dringend geraten hat, seine Geschichte der Buchzerstörung mit einem erotischen Element aufzupeppen, auch wenn es dabei etwas konstruiert zugeht. Und so findet denn Gilain eines Morgens in der U-Bahn einen USB-Stick mit dem Tagebuch einer jungen Toilettenfrau in einem Einkaufszentrum. Natürlich verliebt sich Gilain sofort in diese geheimnisvolle Autorin, liest ihre Tagebuchnotizen statt der Einzelblätter in der Metro vor und überlegt nur noch, wie er diese junge Frau ausfindig machen kann. In dieser heimlich schreibenden Klofrau setzt sich Didierlaurent offensichtlich selbst ein ironisches Denkmal.

Den Rest bis zum Happy-Ende kann sich jeder vorstellen. Bis dahin sind noch einige Hürden zu überwinden, und Freunde romantischer „Underdog“-Lektüre werden auf ihre Kosten kommen. Aber der Roman erfüllt am Ende nicht die Erwartungen, die man zu Beginn hegt. Was hätte man aus dem Ausgangspunkt der Literaturzerstörung alles machen können: einen Gang durch einzelne Blätter der Weltliteratur, eine Parodie auf die Literatur, eine ironische Hommage an den Autor als solchen…… Aber es bleibt dann doch eine eher konventionelle Liebesgeschichte nach dem Motto „Aschenputtel trifft ihren (Traum-)Prinzen“. Zwar kommt dieser Prinz nur als bescheidener Träumer daher, aber der Kern der Geschichte stellt sich dann doch weniger als kritisch oder widerborstig denn als ein wenig bieder heraus. Torben Kessler liest dieses Hörbuch mit einem gezielt naiven Unterton, wie es dem sensiblen Träumer Gilain zukommt. Das unterstreicht natürlich noch den ein wenig pseudo-romantisch angehauchten Charakter des Hörbuchs.

Das Hörbuch ist im Verlag Hörbuch Hamburg erschienen, umfasst 3 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 239 Minuten und kostet 14,99 Euro.

Frank Raudszus

 

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