Potpourri mit Polonaise

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Will man Strawinskys Skandalballett „Le Sacre du Printemps“ auf die Bühne bringen, so benötigt diese nur gut halbstündige Choreographie für ein abendfüllendes Programm weitere Programmpunkte. Wie man ein solches Abendprogramm intelligent zusammenstellen kann, zeigt die Darmstädter Inszenierung von „Sacre“ im im Jahr 2020. Am Staatstheater Mainz haben Koen Augustijnen und Rosalba Torres Guerrero einen anderen Weg gewählt. Sie haben Strawinskys Ballett ans Ende des 75minütigen Programms gestellt und davor – in dieser Reihenfolge – Richard Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre, Arvo Pärts „Cantus in Memory of Benjamin Britten“ und Beethovens „Coriolan“-Ouvertüre gesetzt. Das ist schon musikalisch ein Risiko, das kein Konzertdirektor eingehen würde, denn hier handelt es sich zumindest in drei Fällen um eine ausgesprochen raumgreifende Musik, die jeweils für sich die Führungsrolle einfordert. Alle drei in einem einzigen Programm eng aufeinander folgen zu lassen, führt nur zu gegenseitigen Wirkungsstörungen. Pärts Trauermusik anlässlich Brittens Tod hält sich dagegen im Hintergrund und bildet einen Ruhepunkt.

Ensemble

Doch da es sich hier um einen Tanzabend handelt, sei die musikalische Binnenkonkurrenz einmal beiseite gestellt. Es fragt sich, was die beiden Choreographen im weitesten Sinne darstellerisch aus diesem Potpourri großer Musik(er) machen. Dabei spielt natürlich die Tatsache, dass weder Wagners und Beethovens Ouvertüren noch gar Pärts Trauermusik als Ballettmusik konzipiert wurden.

Bühnenbildner Jean Bernard Koeman hat den Bühnenrückraum mit einer lebensgroßen Eisenbahnbrücke aus Kaisers Zeiten ausgefüllt, wie sie heute noch in Mainz stehen könnte. Vor unter und auf der Brücke finden die tänzerischen Figuren der Compagnie „tanzmainz“ statt. Dazu hat Stefanie Kimmel eine wahre Kostümorgie veranstaltet. Das gesamte Ensemble erscheint zu Wagners Musik in ausgefallenen, opulenten und sehr farbenfreudigen Kostümen auf der Bühne. Das gestaltet sich zu Beginn wie ein Schaulaufen oder gar wie eine Modenschau, einschließlich „Catwalks“ zur Rampe und zurück. Bei der Kreation dieser Kostüme hat Stefanie Kimmel ihrer durchaus weit ausgreifenden Phantasie freien Lauf gelassen. Allerdings tritt die tänzerische Leistung, nicht zuletzt aufgrund der opulenten Kostüme, deutlich zurück. Zu Wagners, Pärts und Beethovens Musik bewegt man sich anfangs eher majestätisch gemessen, und das Ensemble dreht so manche Bühnenrunde wie bei einer großen Polonaise, die nur dezent durch körpersprachliche, um nicht zu sagen tänzerische Einzelleistungen unterbrochen wird.

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Erst mit dem Nahen von Strawinskys Musik legt das Tanzensemle die äußeren Kostümelemente an der Rampe ab und kann sich nun im üblichen, nur noch leicht kostümierten Dress frei bewegen. Zu der Musik von „Sacre“ kommt tatsächlich leben in das Ensemble, das die rhythmische Passagen von Strawinskys Musik austanzt. Allerdings wird dabei die programmatische Geschichte um Auswahl und Opferung der jungen Frau nicht nachvollziehbar nachgetanzt. Wer diese Geschichte kennt, kann zwar einzelne Elemente – etwa eine hoch über die Köpfe erhobene Frau – erkennen, aber die Erzählung allein aus dem Getanzten zu entschlüsseln, ist nicht möglich.

Ensemble

Nun steht allerdings beim Tanztheater grundsätzlich das Tänzerische und nicht die zu erzählende Geschichte im Mittelpunkt. Die Zeiten ausgetanzter Balletterzählungen sind aus guten Gründen unwiederbringlich vorbei. Doch die choreographischen Elemente sollten zumindest eng der Musik folgen. Das tun sie in dieser Inszenierung auch, wenn auch nicht in der Schärfe und Kompromisslosigkeit der Musik Strawinskys. Bis zum Schluss bleibt ein Rest des Kostümfestes in den Kleidern des Ensembles hängen. Das Gesamtkonzept unterschiedlicher Musik mit opulenter Kostümierung ist doch auf die tänzerische Leistung durchgeschlagen. Das heißt jedoch nicht, dass die Mitglieder des Ensembles auf der Bühne keine herausragenden Leistungen erbracht hätten. Ganz im Gegensatz sind viele erstaunliche Einzelleistungen zu bestaunen, und auch die Zusammenarbeit des Ensembles klappt reibungslos. Man fragt sich als Zuschauer am Ende nur, welches einheitliches Konzept hier vorliegt, und wenn es ein solches gibt, ob es ein konsistentes Ganzes ergibt. Die Frage bleibt bis zum Ende offen.

Neben den durchaus beachtlichen Leistungen des Tanzensembles ist das Orchester des Staatstheaters zu erwähnen, das vor allem die auch heute noch sperrige, wenn nicht provokante Musik Strawinskys mit exakter Schärfe intonierte, aber auch Gegensätzliches wie Wagners Weite oder Pärts elegische Passagen überzeugend interpretierte.

Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete kräftigen, lang anhaltenden Beifall.

Frank Raudszus

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