Vielfalt der Klangfarben

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Kammerkonzerte werden meist, wenn nicht von Klavier-Solisten, von Streicher-Ensembles geprägt. Das liegt an der unvergleichlich größeren Literatur, die sich wegen der weiten Verbreitung von Streichern in den häuslichen Musikkreisen des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Bläser-Ensembles sind dagegen allein aus technischen Gründen wesentlich anspruchsvoller und waren daher weitgehend professionellen Musikern überlassen, mit der Folge eines wesentlich kleineren Literaturkanons. Dabei bieten Bläser-Ensembles ein wesentlich breiteres Klangspektrum als die klanglich eher sehr ähnlichen Streichquartette.

Das Staatstheater Darmstadt hatte daher für das 3. Kammerkonzert ein bekanntes Bläserquintett engagiert. Das „Pacific Quintet“ versteht sich dabei nicht nur als ein solches, sondern auch als ein kosmopolitisches, multi-ethnisches Ensemble, das politische und gesellschaftliche Grenzen überwinden will.

Das „Pacific Quintet“ mit (v.l.n.r.): Aliya Vodovozova, Kenichi Furuya, Liana Leßmann, Fernando Martinez Zavala, Haeree Yoo

Das fünfköpfige Ensemble bietet eine breite Klangpalette aus quecksilbriger Flöte ( Aliya Vodovozova), warmer Klarinette (Liana Leßmann), angeschärfter Oboe (Fernando Martinez Zavala), sonorem Fagott und mächtigem Horn (Haeree Yoo). Mit dieser klanglichen Vielfalt können diese fünf Instrumente bereits eine veritable orchestrale Wirkung erzielen – und taten es an diesem Abend auch.

Es begann schwungvoll mit der Ouvertüre zu Rossinis „Der Barbier von Sevilla“, ein sicherer Renner für den Auftakt. Das Ensemble intonierte dieses Stück mit viel Spielfreude und deutlicher Transparenz, wobei die unterschiedlichen Klangfarben der einzelnen Instrumente deutlich zum Tragen kamen. Hier gab es keine „Erste Violine“ und ihr Gefolge, sondern fünf gleichberechtigte Klangkörper, die alle zu einem prallen orchestralen Eindruck beitrugen.

Es folgte Joseph Haydns Divertimento in B-Dur mit dem berühmten „S. Antoni“-Choral, den Johannes Brahms zu einem eigenen orchestralen Variationenwerk verarbeitet hat. Der erste Satz kommt flott aber konventionell daher, eben Joseph Haydns ausgewogene Klassik. Doch auch hier treten schon kurze Generalpausen auf, die einen gekonnten Wiedereinsatz verlangen. Für dieses Ensemble kein Problem. Der Choral weckt dann unweigerlich Assoziationen an – Aimez-vous…? – Brahms , auch wenn man sich diese versagen will. Das Menuett des dritten Satzes kommt mit markanten Hell-Dunkel-Kombinationen der Klangfarben daher, wobei sich immer wieder ein Spiel von Frage und Antwort zwischen den einzelnen Instrumenten entwickelt. Das Rondo des Finalsatzes schließlich glänzt vor allem mit seiner Ausgelassenheit, die das Ensembles an den jeweiligen Instrumenten in vollen Zügen auskosten konnte.

Als drittes Werk vor der Pause intonierte das Quintett eine Komposition des zeitgenössischen Komponisten und Pianisten Fazil Say, der in Darmstadt bereits in einem Kammerkonzert aufgetreten ist. unter dem (deutschen) Titel „Aleviten-Väter am Raki-Tisch“ beschreibt Say humoristisch-treffend die Atmosphäre eines türkischen Cafés, in dem sich ältere Männer unterhalten, ja. verbal duellieren. Die einzelnen Instrumente bilden dabei verschiedene Charaktere und die dazu passenden Stimmen nach. Da ist einerseits der quirlige Schnellsprecher in hohen Lagen (Flöte), andererseits der eher geruhsame, aber bestimmte Bass (Fagott), dann der scharfzüngige Diskutant (Oboe), der Bedächtig-Gutmütige (Klarinette) und der laut Lostönende (Horn). Dabei hat Say diese Charakterzüge nicht vordergründig, das heißt disjunkt über die Instrumente verteilt, sondern geschickt und vielfältig vermischt. Nach einem langsamen Beginn – man betritt das Café und sucht sich einen Platz – beginnt die Diskussion schnell hitzig zu werden. Das Fagott eröffnet den Reigen, die Flöte und Oboe halten dagegen, und schnell sind alle Instrumente in einen heftigen Diskurs verstrickt, bei dem helle Aufschreie der Flöte, drohende Bässe des Horns oder lautstarke Einwürfe von Oboe und Fagott sich abwechseln. Im zweiten Satz sind dann alle ziemlich erschöpft und lassen still die vergangene Diskussion Revue passieren. Ein wahrhaft „musikalischer Spaß“, sozusagen ein (zweites?) Dorfmusikantenquintett, das offensichtlich nicht nur dem Publikum viel Freude bereitete.

Nach der Pause stand das 1922 entstandene Bläserquintett des dänischen Komponisten Carl Nielsen auf dem Programm. Der vielstimmige, für die Entstehungszeit erstaunlich tonale Beginn kennt nur Motive und kaum Themen, nur das Horn tritt sehr deutlich hervor. Dann präsentiert das Fagott ein Thema, das Horn sekundiert, und Flöte und Klarinette umspielen das Thema. Als Schüler des 20. Jahrhunderts verzichtet Nielsen auf „schöne Musik“ und lässt jetzt mehr die distanzierte Tonalität seines Zeitalters zum Tragen kommen. Das ausgedünnte Menuett besteht überwiegend aus wechselnden Duetten und Terzetten verschiedenster Instrumentenkombinationen, etwa Flöte und Oboe oder Oboe und Klarinette oder Klarinette und Fagott oder Oboe, Fagott und Horn, um nur einige zu nennen. In jedem dieser kleinen Gruppen kommen die klanglichen Eigenarten der jeweils beteiligten Instrumente markant zur Geltung.

Das abschließende Präludium – contradictio in adjecto – besteht aus einer Reihe von Variationen eines vorgegebenen Themas. In jeder dieser Variationen übernimmt ein Instrument in gewisser Weise die Führung, womit Nielsen wiederum die Gleichberechtigung aller Instrumente zum Ausdruck bringen wollte. Nach dem Horn treten nacheinander Flöte und Oboe in Aktion, gefolgt von einem schnellen Tutti, dann folgen Klarinette und Fagott, und noch je ein Solo von Fagott und Horn, natürlich alle begleitet von den anderen Instrumenten.

Diese Nielsen-Komposition bildete zwar mit ihrem musikalischen Ernst ein Gegengewicht zu Rossinis Lebensfreunde und Says Witz, aber anscheinend wollten die fünf Musiker und Musikerinnen das Publikum doch nicht mit diesem Ernst alleine lassen. So setzten sie sich nach dem kräftigen Schlussapplaus schnell wieder hin und präsentierten als Zugabe noch Leonard Bernsteins „America “ aus dessen Musical „West Side Story“ mit viel Witz und Virtuosität.

Dafür und für den gesamten Auftritt erntete das Ensemble noch einmal viel Beifall.

Frank Raudszus

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