Botschaften des Unterbewusstseins

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Verlauf und Ende des Ersten Weltkriegen versetzte die Kulturszene aller beteiligten Länder in eine Art Schockstarre. In der Malerei zeigte sich das in völlig neuen, nicht mehr einem ästhetisierenden Konzept folgenden Stilrichtungen wie etwa dem Expressionismus, der das Entsetzen buchstäblich hinausschrie. Aber es gab auch andere Reaktionen. Der Schriftsteller André Breton stieg in seinem 1924 veröffentlichten „Manifest des Surrealismus“ in die Tiefen der menschlichen Psyche hinab und thematisierte damit die verdrängten Sehnsüchte und Ängste der Menschen. Nicht zuletzt Sigmund Freud mit seinen Definitionen des Un(ter)bewussten und der irrationalen Tiefenstruktur der menschlichen Psyche war der unfreiwilligen Pate dieser neuen Kunstgattung.

Max Ernst: „Day and Night“

Denn eine solche entwickelte sich schnell aus Bretons Manifest. Vor allem die darstellenden Künste, die vom Bild im weitesten Sinne des Wortes leben, reagierten unmittelbar auf Bretone Ideen. Im nächtlichen Traum und in den verdrängten Kriegserlebnissen schlummerten Bilder, echte und eingebildete, die ans Tageslicht drängten. Und die bildenden Künstler der Epoche setzten diese im Unterbewusstein wabernden Vorstellungen in Bilder um.

Die Ausstellung im Potsdamer Barnerini-Museum konzentriert sich im weiten Feld des Surrealismus vor allem auf die Magie und den Okkultismus und weniger auf die eher intellektuell-surrealistische Umdeutung des Alltags. Das Irrationale der Magie und des Okkultismus hatte in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg leichtes Spiel, sich in den verunsicherten, ja: geradezu traumatisierten Köpfen der sensiblen Künstler festzusetzen, ob sie nun den krieg an der Front erlebt hatten oder nicht.

Giorgio di Chirico: „Gehirn des Kindes“

Das Museum präsentiert in der Ausstellung über neunzig Werke verschiedenster Künstler dieser Epoche . Dazu gehören unter anderem Max Ernst, Kurt Seligman und Leonora Carrington, aber auch Größen wie Salvatore Dali, Giorgio di Chirico und René Magritte. Es würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, alle zwanzig Künstler im einzeln aufzuführen, daher seien die erwähnten Namen nur als Beispiele genannt.

Das Museum räumt den Werken dieser Epoche buchstäblich viel Raum ein, das heißt, die Bilder sind sehr großzügig gehängt und genießen einen großen gegenseitigen Abstand, soweit sie nicht aus derselben Hand stammen. Dadurch kann jedes Bild viel stärker wirken als bei enger Hängung. Als Besucher schlendert man durch die weiten Hallen dieses modernisierten Rokokko-Baus und genießt die helle Großzügigkeit, die auch und vor allem den Exponaten zugute kommt. Das Irrationale der Bilder steht dabei in scharfem Kontrast zu der aufklärerischen Geradlinigkeit des preußischen Ambientes.

Leonora Carrington: „Großmutter Mooreheads aromatische Küche“

Traum und Unterbewusstsein sind zwei große Bereiche, die neben dem Realen bestehen und diesem nicht widersprechen. Sie stellen sozusagen die Verarbeitung der realen Welt im individuellen Unbewussten dar. Doch darüber hinaus gibt es auch kontrafaktischen, bewusst irrational ausgerichtete Strömungen wie Magie, Okkultismus und Alchemie. Auch diesen räumt die Ausstellung einen großen Raum ein, da solche eigentlich mittelalterlichen Denkweisen in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine gewisse Wiederbelebung fanden. Wenn auch in den entsprechenden künstlerischen Werken sicher eine gewisse Ironie mitspielte, waren sie doch auch als Protest gegen eine zunehmend von Naturwissenschaft und „kalter“ Technik geprägte Welt zu verstehen.

Auch wenn die Zeit des Surrealismus längst zu Kunstgeschichte geronnen ist, lassen sich noch heute viele Anregungen und Erkenntnisse daraus entnehmen. Vor allem der Machbarkeitswahn unserer Epoche wird durch die Traumbilder der surrealistischen Epoche immer wieder in Frage gestellt, auch wenn die damaligen Vertreter dieses Kunstrichtung noch nichts davon wussten. Sie malten aus dem Bauch und ihren eigenen traumatischen Erinnerungen Bilder, die uns heute wieder berühren.

Näheres ist auf der Webseite des Barberini-Museums zu erfahren.

Frank Raudszus

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