Nicht zum Lachen

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Auch in diesen düsteren Zeiten erfreut sich die Komödie hoher Beliebtheit. Das erkennt man an den gut gefüllten Sitzreihen der Berliner „Komödie am Kurfürstendamm“, die derzeit entgegen ihrem Namen im ehemaligen Schiller-Theater in der Bismarckstraße residiert. Auf dem Programm steht die Komödie „Rosige Aussicht“ der US-Amerikanerin Bess Wohl, und da kann man üblicherweise durchaus humoristische Unterhaltung erwarten. Doch diese Erwartungshaltung wird im Laufe des Abends gezielt unterlaufen.

Franziska Walser und Edgar Selge

Obwohl an einem quasi öffentlichen Theater inszeniert, befindet sich dieses Stück weitgehend im Zugriff der Theaterfamilie Selge/Walser. Senior Edgar, dem Fernsehpublikum bekannt aus dem „Polizeiruf 110“, spielt die Hauptrolle des Bill, und seine Ehefrau Franziska Walser – man beachte den Nachnamen! – schlüpft praktischerweise in die Rolle von Bills Ehefrau Nancy. Sohn Jakob Walser spielt den Sohn Ben und Neffe Titus Selge führt Regie. Bleiben noch Janina Rudenska als Bens Frau Jess, Christoph Förster als Sohn Brian und Susanne Böwe als Bills Freundin Carla.

Bill und Nancy verbringen ihren Lebensabend in der Seniorenresidenz „Rosige Aussicht“, deren Name metaphorisch allerdings so gar nicht zur Handlung passt. Denn Nancy eröffnet ihrem Mann während des über Jahrzehnte perfekt orchestrierten Abendessens ihre Scheidungsabsicht. In gut-ironischer Komödienmanier kommentiert Bill das mit einem trockenen „OK“, was wiederum Nancy aus der Fassung bringt. Ja, sie fordert mit ehrlicher Entrüstung geradezu seinen Protest. Damit könnte die Geschichte schon früh enden, und der Vorhang beginnt auch schon sich zu schließen, als zwei junge Männer aus dem Publikum lautstark Einspruch erheben – Ben und Brian, die sich umgehend an die Arbeit machen, die Ehe ihrer Eltern zu retten, und die dabei gleich als deren Vormunde auftreten. Ben hat sicherheitshalber noch seine schwangere Frau Jess mitgebracht, weil man damit emotional besser punkten kann. Jess, selbst Psychotherapeutin, beginnt auch gleich mit einer Spontan-Therapie, bei der Janina Rudenska mit ironischem Witz alle Register einer bevormundenden, paternalistischen „Altenbetreuung“ zieht.

Janina Rudenska und Jakob Walser

Während die beiden Betroffenen in – scheinbar! – verwunderter Gelassenheit zuhören, zerfleischen sich die Söhne gegenseitig in einem beinharten Wettkampf der Verantwortung und Empathie. Dabei präsentiert sich Ben, der Ältere, als durchsetzungsstarker und entsprechend autoritärer Manager, während Brian als der Jüngere dagegen seine Sensibilität und sein Einfühlungsvermögen in Stellung bringt. Beiden geht es nur um ihre eigene Identität, die es im brüderlichen Kampf durchzusetzen gilt. Die Einwürfe und Meinungsansprüche der Eltern werden als von am Rande der Demenz stehenden Alten kommend beiseite gewischt. Und das nicht nur implizit, sondern unter dem Vorwand der Sorge ganz direkt, wenn etwa Brian seinen Vater fragt, ob er sich noch an kurzfristige Dinge erinnere. Jess, längst von Ben als „Babe“ in die Kinderecke gedrängt, hört den beiden Kampfhähnen zu, bis ihr der Kragen platzt.

Mittlerweile hat Bill bereits einen Transporter besorgt und beginnt, seine Sachen zu packen. Als jedoch die beiden Söhne, die mittlerweile anhand deftiger Beispiel zu ihrem Entsetzen erfahren mussten, dass auch ihre Eltern so etwas wie ein Sexualleben hatten, ihre Vorwürfe jetzt gegen die unmoralische, lügenhafte Vergangenheit ihrer Eltern richten, eskaliert die Geschichte soweit, dass Bill den Transporter in die Hauswand fährt. Offiziell unfallhalber aber für das Publikum deutlich emotional motiviert.

Christoph Förster und Joel Schultze-Motel

Der zweite Teil beginnt mit einem psychologischen Höhepunkt: dem Gespräch zwischen Nancy und Edgars Freundin Clara. Nancy „übergibt“ ihrer Konkurrentin den Mann mit einer solchen pragmatischen Freundlichkeit, dass diese und – anfangs – selbst das Publikum nicht die ausgefeilte Taktik dahinter bemerken. Am Ende bewirkt Nancy mit ihren mütterlich-besorgten Ratschlägen die eilige Flucht der Rivalin.

Natürlich gibt es am Ende, wie es sich für eine Komödie gehört, noch den „Showdown“ zwischen dem Paar, doch nicht als kitschiges Happy End, sondern als ein sich im Gespräch aufbauendes Konstrukt aus Missverständnissen, Sprachlosigkeit und Ängsten. Wir wollen hier das Ende nicht „spoilern“, aber trotz aller hier einmal deutlich ausgesprochenen Wahrheiten bleibt doch ein Hauch von Komödie.

Viel Beifall für dieses komödiantische Familienprojekt.

Frank Raudszus

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