Gegen den Strich gespielt

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Das 7. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt bot mit Streichquartetten von Mozart, Haydn und Mendelssohn ein im besten Sinne konventionelles Repertoire, und das Abonnementspublikum dürfte diesem Abend mit einer gewissen Erwartungshaltung entgegen gegangen sein. Doch das aus vier EU-Ländern stammende Adelphi Quartett – Maxime Michaluk (vl), Esther Agusti Matabosch (vl), Adam Newman (va) und Nepomuk Braun (vc) – spielte dabei nicht mit, sondern interpretierte die auf dem Programm stehenden Werke der Klassik und Romantik auf ganz eigene Weise.

Das Adelphi Quartett mit (v.l.n.r.): Adam Newman, Esther Agusti Matabosch, Maxime Michaluk und Nepomuk Braun

Bereits die ersten Takte von Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquartett in G-Dur , KV 387, zeigten ausgeprägte Stimmvielfalt mit agogischen Elementen. Die gerade bei Mozart gewohnte Gefälligkeit, die man einem ursprünglichen Zugeständnis an das damalige Publikum zurechnen kann, war hier kaum zu spüren. Ritardandi und ausgesprochen intensive und individuelle Intonation standen im Vordergrund, und die dynamischen Kontraste auch im figuralen Kontext wiesen stellenweise schon auf Beethovens Streichquartette hin. Für diese Vielfalt nahm das Ensemble das Tempo sogar ein wenig zurück. Auch der zweite Satz begann mit viel Verve und einer ausgeprägten Rhythmik, die sich in einer Verschiebung des Taktschwerpunktes vom Anfang auf die Mitte des Dreivierteltaktes zeigte. Maxime Michaluk zelebrierte diese rhythmische Versetzung an der ersten Violine geradezu. Auch hier spielten kleine Ritardandi und minimale Pausen wieder eine intensivierende Rolle. Der dritte Satz – in Moll – eröffnete dagegen mit seiner Düsternis emotionale Abgründe. Trotz – oder gerade wegen – des getragenen Tempos entwickelten die vier Musiker dabei eine hohe Intensität, die keinen Augenblick nachließ. Man könnte fast sagen, dass sich das ganze Streichquartett um diesen Satz wie um einen Anker drehte. Der Finalsatz begann dann in Fugenmanier, entwickelte schnell Tempo und Dynamik, um dann noch einmal in eine längere Fuge über vier Stimmen überzugehen. Den Abschluss bildete dann ein schneller Kehraus mit einer besonderen Pointe: Nach einem fulminanten Schlussakkord – das Publikum begann bereits zu klatschen – folgte nach einer kleinen Generalpause noch die leise Version als Ausklang. Wer kennt schon alle Streichquartette Mozarts – und anderer Komponisten – auswendig?

Erstaunlicherweise stand Joseph Haydns Streichquartett op. 33 Nr. 5 in G-Dur an zweiter Stelle. Üblicherweise serviert man Haydn und Mozart in lebenschronologischer Form, da sich daran der „Fortschritt“ der freier agierenden Musik Mozarts gegenüber der noch frühklassisch strenger gestalteten Musik seines Mentors zeigen lässt. Doch es gibt natürlich keine Regel oder gar Gesetz über die Reihenfolge der Werke.

Die konventionellere Gestaltung bei Haydn zeigt sich bereits im ersten Satz an einer regelmäßigeren Metrik. Außerdem sind die Themen noch geschlossener im Sinne einer Liedhaftigkeit. Doch das Adelphi Quartett interpretierte auch diesen Satz mit deutlichen Kontrasten und „Breaks“, wie man im Jazz sagen würde, kurzen Generalpausen und genau kalkulierten, wirkungsvollen Verzögerungen. Der zweite Satz, laut Tempo-Bezeichnung ein „Largo“, kam zügiger zu Gehör, als man es von dieser Tempoart erwartet, als wolle das Ensemble jedwede falsche Sentimentalität, um nicht das „K“-Wort zu benutzen, vermeiden. Und statt sich sich in tiefer, schwermütiger Klage zu üben, bevorzugten die vier Musiker eine fast schon scharfe und kontrastreiche Interpretation. Die Klage des Largo wurde hier zum verhaltenen Protest, was sich durchaus nachvollziehen lässt. Das Scherzo des dritten Satzes kam expressiv, ja geradezu ekstatisch daher, während das Stück im Finalsatz dann tänzerisch und eher heiter-gelassen ausklang. Ganz im Sinne Haydns.

Nach der Pause folgte – nun musik-chronologisch – Mendelssohns Streichquartett in f-Moll op. 80. Hier ließ sich das Fortschreiten – wir vermeiden hier bewusst den wertebesetzten Begriff „Fortschritt“ – der musikalischen Auffassungen von Klassik zu Romantik nachvollziehen. Das Ensemble intonierte dieses Werk von Anbeginn an als einen für die Romantik typischen Aufschrei des emotionalen Individuums, das sich der Einschränkungen der vordergründig aufgeklärten Klassik entledigt und die ureigensten Ängste und Sehnsüchte zum Ausdruck bringt. Musikalisch ausgearbeitete Themen treten hier zurück gegenüber den Emotionen. Gerade der erste Satz liefert hier gerade opernhafte Motive, die man sich auch als emotionsgeladene Arien auf der Bühne vorstellen kann. Der zweite Satz drängte mit ostinaten Figuren im 2/4-Takt voran, wohingegen der dritte mit innigen und nachdenklichen Motiven eine Art Abschied intonierte, der sich mit ausgesprochen präsenter Intonation zu einem Aufbegehren aufschwang, um dann zum Ende leise abzuklingen.

Der Finalsatz nahm dann – eigentlich untypisch – wieder das Moll-Schema auf sowie die „Hilfeschreie“ des Kopfsatzes. Die Zerrissenheit dieses Satzes erinnert in manchen Passagen an Schumann und weist in anderen wieder auf Brahms voraus. Hier wird noch einmal das Wesen der romantischen Musik in einem Satz verdichtet vorgeführt, das so gar nicht mit dem heute üblichen Verständnis des Begriffs „romantisch“ gleichzusetzen ist. Es ist das Verdienst des Adelphi Quartetts, die emotionalen Extreme der Romantik dem Publikum anhand dieses Werkes deutlich und konsequent vor Augen geführt zu haben.

Das Publikum, das sich bei Kammerkonzerten wohl zum geringsten Teil aus „Laufkundschaft“ zusammensetzt, schätzte diese kompromisslose Art der Interpretation bei allen drei Werken hoch ein und zeigte dies durch mehr als kräftigen Beifall. Dieser fiel derart intensiv aus, dass das Quartett noch ein Zugabe von Gounod spielte, auch diese wieder mit kräftigem Applaus bedacht.

Frank Raudszus

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