Revue mit „Drei-Groschen“-Flair

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In seinem Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ aus dem Jahr 1931 beschreibt Erich Kästner ungeschminkt die Zustände im Berlin der ausgehenden 20er und beginnenden 30er Jahre. Hedonismus vor allem sexueller Prägung und weitgehender Verzicht auf jegliche Moralvorstellungen stehen dabei im Vordergrund. Dabei hatte der Autor in einem ersten Entwurf mit dem Titel „Gang vor die Hunde“ noch verschiedene grelle Szenen eingebaut, die aber der Selbstzensur des Verlages zum Opfer fielen und auch zu dem neuen Titel führten. Das Staatstheater Darmstadt hat beide Versionen zusammengeführt und für die Bühne bearbeitet, um damit Kästners ursprüngliches Anliegen möglichst authentisch wiederzugeben.

Die Thematik dieses Romans ist offensichtlich Teil eines Rahmens, denn kurz vorher feierte Alban Bergs Oper „Lulu“ Premiere, die ebenfalls in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts spielt und auch – mit gewissen Verschiebungen – ähnliche gesellschaftliche Verhältnisse kritisch beleuchtet.

Ensemble

Die Bearbeitung eines Romans für die Bühne beinhaltet den Vorteil, sich bei der Darstellung weitgehende Freiheiten erlauben zu können, die ein Autor oder dessen Nachfolger nicht von vornherein urheberrechtlich in Frage stellen können. Im Fall dieser Inszenierung drängt sich die Vermutung auf, dass Regisseur Christoph Mehler von vornherein Brechts „Dreigroschenoper“ im Hinterkopf gehabt hat. Das bietet sich schon allein wegen der ähnlichen Ausgangslage an: in einer gegebenen Großstadt – hier Berlin, da London – sind moralische Maßstäbe nicht nur ins Wanken, sondern geradezu in Misskredit gekommen. Im Berlin der zwanziger Jahre war das auf die Erschütterungen durch den verlorenen Krieg, die Inflation und den Zusammenbruch der Wirtschaft zurückzuführen. Damit bildeten sich – wie bei Brechts „Bettleroper“ – bestimmte soziale Milieus, die nur noch den kurzfristigen (Lust-)Gewinn im Auge hatten.

Folgerichtig baut Mehler die Bühnenversion des Romans als eine Revue auf, ein weiterer Verweis auf die vor Revuen geradezu strotzende Kulturlandschaft des damaligen Berlins. Dazu installiert er am rechten Bühnenrand eine fünfköpfige Band unter der Leitung von Michael Nündel am Flügel, die zu dem Bühnengeschehen sowohl bekannte deutsche Schlager der Zwanziger als auch amerikanische Musical-Titel spielt. Das kommt teilweise als echte „Nummernrevue“ mit Gesangsdarbietungen von Louisa von Spies daher, aber auch als leise musikalische Untermalung des Bühnengeschehens.

Jörg Zirnstein und Béla Milan Uhrlau

Im Mittelpunkt der Handlung steht der Germanist Jakob Fabian (Béla Milan Uhrlau), der sich sein Brot als Werbetexter verdient, sich aber durch freie Meinungsäußerungen gegenüber Kollegen und Vorgesetzten keine Freunde macht. Er streift als distanzierter Beobachter durch das Berliner Nachtleben, will sich selbst jedoch von diesem und seinen Vertretern – Swinger-Clubs, Bordelle und etliche Etablissements – nicht vereinnahmen lassen. Er verzichtet zwar auf moralische Belehrungen seines Umfeldes, zeigt seine Ablehnung jedoch durch seine Distanzierung. Die Frau des Notars Moll, Irene, lädt ihn offen aber erfolglos zum mehr oder minder offenen Sex ein und wird ihm später noch zwei Mal ähnliche Angebote unterbreiten, die er ebenfalls ablehnt. Ein wenig erinnern diese Szenen an das dreimalige Verleugnen des Petrus, nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Als selbstdeklarierter Moralist kann Fabian zwar das aktive Mitmachen ablehnen, aber sich dennoch dem Moloch der mordenden Stadt nicht entziehen. Und so ist sein Tod am Ende auch nur folgerichtig, wenn er auch als bitter ironische Pointe daherkommt.

Fabians Freund Labude (Sebastian Schulze) hat wegen seiner Habilitation in Berlin eine fünfjährige Fernbeziehung mit einer Frau in Hamburg geführt, als er feststellt, dass sie ihn betrügt. Das führt bei dem auf Planung und Korrektheit fixierten Mann zu einem Nervenzusammenbruch. Fabian erhält schließlich selbst die Kündigung und verliert danach auch seine Freundin Cornelia, die mit einen attraktiven Job verschwindet. Als er schließlich die Miete nicht mehr zahlen kann, schläft er auf der Straße.

Als politisches Lokalkolorit fügt die Regie noch eine Straßenschießerei zwischen Kommunisten und Nazis ein, die vor allem Labude zu einem Zornesausbruch treibt. In dieser und einer früheren Szene treten die unterschiedlichen Weltverständnisse der beiden Freunde deutlich zu Tage. Der melancholische Skeptiker Fabian kann sich keiner ideologischen Truppe anschließen, weil er dem Glauben an eine absolute Wahrheit grundsätzlich misstraut, während Labude an die Wirksamkeit eines „Systems“ und dessen erzieherische Wirkung auf die Menschen glaubt. Dieser Kontrast bricht sich immer wieder Bahn und ist von der Regie bewusst in den dramaturgischen Vordergrund gerückt.

Edda Wiersch

Die Dramaturgie erinnert ebenfalls an die bereits erwähnte „Lulu“. Mit der Pause ist der Kipp-Punkt erreicht, von da an geht es bergab. Die erste Szene des zweiten Teils ist ein einziger apokalyptischer Tanz auf dem Kraterrand ohne Text und erinnert ein wenig an Goethes „Walpurgisnacht“. Dann geht es Schlag auf Schlag. Labudes Leben endet aufgrund eines vermeintlichen totalen Scheiterns tragisch, doch nicht ohne einen abschließenden Monolog, der in seiner Intensität an „Sein oder nicht Sein“ erinnert. Fabian dagegen fasst in einer eher unpolitischen Situation den Entschluss zur befreienden Tat und scheitert ebenfalls auf tragisch-ironische Weise.

Das Bühnenbild von Jennifer Hörr rahmt Fabians bedrückende Erlebnisse im hedonistischen Berliner Untergrund mit einem kalten Monstrum aus verschachtelten Gebäudeelementen, die sich permanent drehen und immer neue Blickpunkte auf die grell beleuchteten Etablissements und deren Bewohner eröffnen. Die schrillen Kostüme der dort tätigen Figuren lassen die trotzige Verzweiflung der hoffnungslosen Gestalten geradezu aufblühen. Und über alles geht die Musik der „Nündel-Band“ fast mit einschmeichelndem Jazz-Sound kaltlächelnd hinweg, wie man auf dem Kraterrand halt so tanzt.

In der Hauptrolle glänzt Béla Milan Uhrlau mit einer lässigen Nonchalance, die die Verzweiflung seines Protagonisten über die Zustände nur vordergründig kaschiert. Hinter der fast weltmännischen Facon hat sich längst das Entsetzen festgesetzt. Sebastian Schulze ist ihm über weite Strecken als Labude ein ausdrucksstarker Partner, der für die emotionalen, am Rande des Irrsinns angesiedelten Ausbrüche zuständig ist.

Louisa von Spies und Béla Milan Uhrlau

Louisa von Spies brilliert nicht nur mit ihrem die Inszenierung über weite Strecken prägenden Gesang, sondern auch mit der eindrucksvollen Darstellung der eiskalten Lustgewinnlerin Irene Moll. Edda Wiersch spielt eine auf höchsten emotionalen Drehzahlen durchs verrückte Berliner Leben jagende Cornelia, die den Zuständen nur die eigene Überdrehtheit entgegensetzen kann, bis sie die Chance zur Flucht erhält. Karin Klein, Gabriele Drechsel, Jörg Zirnstein, Thorsten Loeb und Mathias Znidarec treten in ständig wechselnden Rollen auf, die ein hohes Umziehtempo erfordern, vom jeweiligen Rollenumstieg ganz zu schweigen. Sie sind für die Spiegelung der verschiedenen Typen im Berlin dieser Zeit zuständig und decken alles ab vom Arbeitslosen über die Vermieterin bis zum SA-Mann.

Die Regie verzichtet übrigens auch auf ein szenisches Ausschlachten des aufkommenden Nationalsozialismus, was man bei einer Romanadaption durchaus freihändig handhaben könnte. Da die Handlung des Romans vor dem Januar 1933 spielt, liegt der Schrecken noch als bloße Möglichkeit in der Zukunft. Mehler lässt es mit einigen braun gewandeten SA-Männern martialischen Aussehens bewenden, und das Publikum kann diesen Szenen das eigene Wissen über die historische Realität selbst hinzufügen.

Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert und spendete dem Ensemble samt Regie und Musik, vor allem aber Louisa von Spies und Béla Milan Uhrlau, mehr als kräftigen Beifall. Das Ensemble zeigte sich erschöpft aber glücklich.

Frank Raudszus

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