Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung

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Nein, es geht hier nicht um Christian Dietrich Grabbes Komödie, doch deren Titel passt wie gestochen auf Felix Krakaus neues Stück „Happy End (keine Garantie)“, das im Februar in Darmstadt seine Uraufführung feierte. Krakau nimmt in diesem Einakter etwa einstündiger Dauer die straßenklebenden Aktivisten der „Letzte[n] Generation“ und ihre Genossen von „Extinction Rebellion“ sowie deren radikale, als Notwehr definierte Missachtung geltender Gesetze und ihre fast naive Hoffnung auf ein gutes Ende als Vorlage. Dabei vermeidet er jedoch die Verschiebung sowohl der Aktionen ins bloß Dämonische als auch der Naivität ins Lächerliche, ohne auf der anderen Seite dem Publikum eine säuerliche Moralpredigt zu halten.

v.l.n.r.: Jasmin-Nevin Varul, Mathias Znidarec, Daniel Scholz

Der Abend in den vorhanglosen Kammerspielen beginnt mit gellenden Alarmhupen und wild blinkenden Lampen, die die einzige Requisite auf der Bühne beleuchten: eine Baustelle mit einem Haufen Schutt und einem Loch mittendrin. Dann erscheinen in dicht aufquellendem Disco-Nebel drei „Gangster“ mit Augenmasken, die das Publikum im lautstarken Chor als Geiseln für den traurigen Zustand der Welt nehmen, bis sie ihre Forderungen bei der Bundesregierung durchgesetzt haben. Krakau verzichtet auf eine detaillierte Auflistung der Weltübel, die er in den Publikumsköpfen als existent voraussetzt.

Die drei Geiselnehmer – Matthias Znidarec als „Torben TNT“, Daniel Scholz als „Benny Bulldog“ und Jasmin-Nevin Varul als „Bella Top Secret“ – bemühen sich sofort um ein gutes Verhältnis zu ihren Geiseln, ja: sie buhlen geradezu um deren Verständnis, auch wenn Benny Bulldog aggressiv gegen vermeintliche Handy-Benutzer vorgeht. Hier thematisiert der Autor sofort die durchaus sympathische Naivität der Aktivisten, die so gar nichts Gewalttätiges an sich haben. Benny ist dabei der sensibelste Gangster, bricht er doch nicht nur nach einem Streit mit Bella ob ihrer Beschimpfung in Tränen aus, sondern erklärt später dem Publikum sogar noch seine Liebe wie ein Teenager seiner ersten Angebeteten. Bella dagegen steht hilflos und an den Fingern drehend vor dem Publikum, äh: den Geiseln, als diese bis zum Ende des klärenden Telefonats von Torben mit der Bundesregierung gedulden sollen.

Das Telefonat findet natürlich nicht statt, da die Regierung nicht abgenommen hat. Diese vermeintlichen Nichtbeachtung stürzt das Trio in eine schwere Identitätskrise, die sich wiederum in gruppendynamischen Differenzen der üblichen Art äußert. Die weitere Handlung ist mangels dramatischen Inhalts unwichtig und soll hier nicht weiter ausgeführt werden.

Krakau geht es in diesem Stück um drei Bedeutungsebenen. Einmal um die Angst um Zustand und Zukunft der menschlichen Gesellschaft auf diesem Planeten und um den Wunsch, endlich etwas Konkretes zur Beendigung des Übels und damit zur Realisierung eines „Happy Ends“ zu tun. Dieser Befindlichkeit verleiht Krakau – und in der Darstellung das Ensemble – einerseits durchaus ernsthafte Züge ohne jeglichen Hysterievorwurf, andererseits zeigt er auch die – man möchte fast sagen „naive“ – Vorstellung eines durch reines Wollen und symbolische Taten zu erreichenden „Happy Ends“ für die gesamte (Welt-)Gesellschaft.

Der zweite, unmittelbar an den ersten anschließende Deutungsraum betrifft die Egozentrik dieser Aktivisten. Sie sehen sich auf der moralisch (absolut) richtigen Seite der Welt und leiten daher das Recht ab, die von den anderen, sich nicht im Besitz der einzigen Wahrheit befindlichen Menschen aufgestellten Regeln zu missachten und dafür auch noch gelobt zu werden. Das Buhlen um die Liebe der Geiseln ist nichts anderes als die Bitte oder gar Forderung, den Besitz der Wahrheit durch sie, die Geiselnehmer, zu akzeptieren und sie dafür zu bewundern. Auf keinen Fall möchten sie mit bloßen Kriminellen verwechselt werden. Die Geiselnahme ist so gesehen nur eine Metapher für die Weigerung, mit anderen über die Verhältnisse und eventuelle Maßnahme zu diskutieren, weil man eine solche Diskussion unter Umständen ja auch – unter Schädigung des Egos – verlieren könnte.

Die dritte Ebene betrifft das Verhältnis der Aktivisten untereinander, denn statt einer verschworenen Gemeinschaft zeigt sich hier ein ziemlich zerstrittenes Trio, dessen Mitglieder mit allen Mitteln die eigene Stellung stärken und erhöhen sowie die der anderen mindern wollen. Dazu ist auch kurzfristiges Eingehen einer neuen Koalition nützlich, das natürlich stets mit dem Verrat der letzten Koalition beginnt. Dabei werden Streitigkeiten nur soweit ausgefochten, wie sie nicht den endgültigen Verlust des jeweils bekämpften Koalitionspartners nach sich ziehen. Man möchte zwar das eigene Ego in der Zweierbeziehung stärken, aber den Gegenüber nicht endgültig ins gegnerische Lager treiben. Diese Konstellation mit taktischen Streits und Versöhnungen zieht sich wie ein Leitmotiv durch das ganze Stück.

Wenn sich am Ende tatsächlich die Staatsmacht meldet, erfolgt dies auch nur über den „Botenbericht“ des Trios, aber nicht als reale Handlung, wenn man von einer akustischen Aufforderung zur Waffenstreckung absieht. Die zur Schau getragene Resignation stellt sich jedoch als ambivalente Reaktion zwischen Aufgabe, taktischem Rückzug und Hoffnung auf weitere Aktivitäten dar. Da liegt dem Rezensenten noch ein Zitat auf der Zunge: „Der Vorhang zu und alle Fragen offen“.

Jasmin-Nevin Varul, Mathias Znidarec und Daniel Scholz ziehen alle Register der Schauspielkunst von Liebe über Trotz bis zu Neid und Egoismus, und sogar die modische Selbstreferenz aufs Schauspielerdasein fehlt nicht, wenn Daniel Scholz alias Benny Bulldog eingesteht, dass er eigentlich Schauspieler werden wollte. Trotz des ernsten Hintergrunds gab es auch viel betroffenes Schmunzeln über all die menschlichen Schwächen, die das Trio hier genüsslich ausbreitete.

Kräftiger Beifall für das Ensemble.

Frank Raudszus

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