Die Emanzipation frisst ihre Kinder

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Henrik Ibsens „Hedda Gabler“ erfreut sich – im Gegensatz zu anderen „Klassikern“ – einer ungebrochenen Nachfrage des Theaters. Das liegt offensichtlich daran, dass dieses Stück weitgehend als die Emanzipationsgeschichte einer Frau in einer männlichen Gesellschaft gedeutet wird. Dabei wird seltsamerweise immer wieder geflissentlich übersehen, dass Ibsens Stück den Männern – von Richter Brack einmal abgesehen – keine aktive Unterdrückung zuschreibt, sondern in der Person ihres Ehemanns Tesman sogar ein übergroßes Entgegenkommen, wenn auch nicht in Fragen der gesellschaftlichen Macht. Doch in diesem Fall übt Tesman eine solche selbst auch nicht aus – er hofft nur auf eine Beförderung zum Professor -, und der Rivale Lovburg ist sogar am unteren Rand der Gesellschaft angekommen. Hedda dagegen sagt selbst ausdrücklich, dass sie einmal im Leben „Macht über einen Menschen“ besitzen möchte, nicht merkend, dass sie diese in bestimmter Weise bereits gegenüber Tesman ausübt. Sie treibt stattdessen einen Menschen – Lovburg – gezielt in den Tod, um nicht auf der falschen Seite des Lebens gelandet zu sein. Mit weiblicher Emanzipation hat das weniger zu tun, eher mit Egomanie.

Florian Donath, Daniel Scholz, Thorsten Loeb und Trixi Strobel

Das Staatstheater hat dieses Stück nach zwanzig Jahren – das letzte Mal im Jahr 2003 – wieder ins Programm genommen, und Regisseur David Stöhr folgt dabei der Egomanie-Linie deutlicher als seine Vorgänger. Er lässt Trixi Strobel eine Hedda spielen, die von Beginn an ihre ganz eigene Agenda verfolgt und noch vor Lovburgs unerwartetem Eintreffen kalte Langeweile gegenüber Tesman und dessen Tante Juliane (Gabriele Drechsel) zeigt. In den folgenden Szenen mit Thea Elvsted (Berna Celebi) und Lovburg (Florian Donath) zeigt Trixi Strobels Hedda durchweg ein Doppelgesicht, das natürlich den anderen Figuren im Gegensatz zum wissenden Publikum nicht auffällt. Nach außen freundlich bis fröhlich, manipuliert sie alle um sich herum und entlockt ihnen Geheimnisse, die sie umgehend eiskalt gegen sie einsetzt. Diese Janusköpfigkeit setzt Trixi Strobel mit geringsten gestischen und mimischen Mitteln um, etwa einem leichten Zucken eines Mundwinkels, einem Wegdrehen des Kopfes oder einem starren Blick ins Leere. Bisweilen reicht schon eine leicht versteifte Körperhaltung, um die angespannte Aggression zum Ausdruck zu bringen.

Florian Donath und Trixi Strobel

Dagegen treten die anderen Figuren stets – fast könnte man sagen „naiv“ – als sie selbst auf. Daniel Scholz spielt Tesman als gutwilligen und optimistischen Bürger, der natürlich das gefundene Manuskript an den plötzlich zum Rivalen avancierten Lovburg zurückgeben will und Heddas abgründiger Bosheit hilflos gegenüber steht. Florian Donaths Lovburg ist ein idealistisch angehauchter Künstlertyp mit glücklich überstandener Alkoholsucht, der noch einmal die ehemalige Liebesaffäre mit Hedda aufleben lassen möchte. Berna Celebi gibt Thea Elvsted als beidbeinig im Leben stehende Frau voller Ideale und Tatendrang, die es nicht fassen kann, dass Hedda ihre vertraulichen Informationen über Lovburg in ihrer Anwesenheit diesem sofort brühwarm auftischt. Diese Thea wird jedoch bis zum Schluss tatkräftig für ihre Sache kämpfen. Fast könnte man sagen, David Stöhr wolle an ihr ein Exempel über gelingende Emanzipation statuieren. Thorsten Loeb erliegt nicht der Versuchung, den halbseidenen Richter Brack als Klischee des notgeilen Alten zu präsentieren, sondern zeichnet ihn als gepflegten älteren Herren, der jedoch genau über seine patriarchalische wie situationsbedingte Macht Bescheid weiß und sie auch zu nutzen weiß. Ein zwar mehr als ambivalenter Typ des „alten weißen Mannes“, aber nicht die Inkarnation des Bösen.

David Stöhr hat Ibsens Stück zudem durch einige Regieeinfälle erweitert. So beginnt das Stück mit dem desorientiert weil betrunken zweimal Bühne und Zuschauerraum umrundenden und über Leben und Tod schwadronierenden Lovburg, der sich schließlich – unabsichtlich? – in den Unterleib schießt und verstirbt. Florian Donaths Theaterleiche bleibt dann bis in die erste Szene liegen und wirkt damit als Menetekel im Hinblick auf Heddas Tat.

Ensemble

In der Kernszene, wenn Hedda den widerstrebenden Lovburg ermutigt, an der „Party“ von Brack und Tesman teilzunehmen, und anschließend mit Thea auf seine – natürlich nicht erwünschte – Rückkehr wartet, baut Stöhr eine längere Videosequenz ein, die Heddas Traum über Freiheit, Selbstbestimmung und Hass auf die Männer um sie herum verbildlicht. Dabei vermischt er geschickt Lovburgs tatsächlichen, dem Alkoholgenuss geschuldeten Bordellbesuch am selben Abend mit Heddas wilden Gedanken. Hier tut sich eine moderne Version der Walpurgisnacht auf, wenn Gabriele Drechsel als rothaarige Puffmutter eine Hexe spielt und Florian Donath in Lederhose und nackter Haut posiert. Hier brechen sich sowohl unterdrückte Sexualität als auch der Drang nach Entgrenzung Bahn, und Heddas inneres Chaos durchbricht zumindest als Traum die Fassade ihrer – mühsam – kontrollierten Physiognomie. Vielleicht hätte man dabei auf die in soziologischer Fachsprache und ideologischem Tonfall vorgetragene Gendertheorien von Donna Haraway, Margarete Stokowski u.a. verzichten oder sie zumindest verkürzen können, da sie aufgrund ihrer Dichte und Komplexität im Kontext eines orgiastischen Traums kaum zu vermitteln sind und nur als Strom von Schlagworten vorbeiziehen. Doch der Grundgedanke dieses zentralen Traums passt in diese Inszenierung des bekannten Klassikers.

Auch am Ende, wenn Tesman nach dem ironisch belächelten Knall aus der Küche mit Entsetzen Heddas Leiche entdeckt, hätte man nach seinen letzten Worten das Licht löschen können und auf den abschließenden Song der im Harlekinkostüm über die Bühne tanzenden Hedda verzichten können. Doch es ist in der Literatur wie im Theater oft schwer, den richtigen Zeitpunkt für das Ende zu treffen. Es gibt halt immer noch eine Idee.

David Söhr hat mit dieser Inszenierung eine beeindruckende Arbeit vorgelegt, die eine so schlüssige wie intensive Interpretation von Ibsens wohl verstörendstem Stück vorlegt. Das Ensemble sorgt mit seiner hochkonzentrierten Darstellung – allen voran Trixi Strobel – für einen Abend nie nachlassender Spannung.

Frank Raudszus

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